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Wissenschaftler verlangsamen das Fortschreiten einer schwerwiegenden neurodegenerativen Störung

27. Juni 2019

Die neuen Studienergebnisse könnten auch einen innovativen Ansatz zur Behandlung anderer neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Multiple Sklerose (MS) liefern, die mit erhöhten Eisenspiegeln im Gehirn einhergehen.

pkan-studie Links: Kernspintomographie (MRI) mit für PKAN typischer Eisenakkumulation im Globus pallidus beidseits (Kasten)
Mitte und rechts: Quantifizierung mittels MRI-R2* zeigt deutliche Abnahme von Eisen nach Therapie. (Foto: KUM)

Eine internationale Studie unter der Leitung von Wissenschaftlern des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München und von Forschern der Universität von Kalifornien in Oakland könnte Kindern und Erwachsenen mit einer seltenen und schwerwiegenden genetischen Störung Hoffnung geben: der Pantothenat-Kinase-assoziierten Neurodegeneration (PKAN).

Die Studie mit 89 Patienten aus Europa und den USA ergab, dass giftiges Eisen im Gehirn durch die sogenannte Chelatbildung reduziert und dadurch das Fortschreiten dieser oft tödlichen genetischen Störung leicht verlangsamt werden kann. Die Ergebnisse sind jetzt im renommierten Fachblatt The Lancet Neurology erschienen.

Die Studie wurde im Rahmen von TIRCON ("Treat Iron-Related Childhood-Onset Neurodegeneration") lanciert, einem großen EU-geförderten Kooperationsprojekt unter der Leitung von Thomas Klopstock. Der Professor an der Klinik für Neurologie, Friedrich-Baur-Institut, am LMU Klinikum hat die Studie geleitet.

„Jede Verlangsamung des Krankheitsverlaufs ist ein wichtiger Schritt“

„Obwohl der klinische Nutzen für PKAN-Patienten relativ klein war, ist jede Verlangsamung des Krankheitsverlaufs bei dieser schweren Erkrankung ein wichtiger Schritt", sagt Klopstock. „Darüber hinaus lernen wir aus der Studie vieles über den natürlichen Verlauf von PKAN, was das Design zukünftiger Studien bei dieser ultra-seltenen Krankheit entscheidend verbessern wird.“

PKAN ist eine Form der Neurodegeneration, die durch Ansammlung von Eisen im Gehirn gekennzeichnet ist und zu schweren, unwillkürlichen Muskelkontraktionen (Dystonie), Spastik und anderen Symptomen führt. Die Erkrankung verläuft am schwersten, wenn sie bereits im Säuglingsalter ausbricht, kann aber ebenso gravierend bei Erwachsenen sein, obwohl die Progression dann langsamer ist. Bei der schweren Verlaufsform können die Patienten am Ende nicht mehr essen und sprechen und schließlich nicht mehr selbstständig atmen. Die Lebenserwartung ist dann deutlich reduziert.

Schlüssel des Erfolgs: ein Eisen-bindendes Medikament

Zwei Drittel der PKAN-Patienten erhielt im ersten „doppelblinden“ Teil der 18-monatigen Studie ein Eisen-bindendes Medikament (Chelator) namens Deferipron. Die anderen Patienten bekamen einen Scheinwirkstoff (Placebo) verabreicht. Darauf folgte die ebenfalls 18-monatige "TIRCON-Extension"-Studie. Dabei erhielten alle Patienten das Eisen-bindende Medikament.

In der Kernspintomographie des Gehirns zeigte sich, dass das Medikament tatsächlich effektiv Eisen aus dem Gehirn der Patienten entfernen konnte. Zudem reduzierte sich die Zahl der Patienten, die zusätzliche Medikamente zur Kontrolle ihrer Dystonie benötigten, unter dem Medikament waren es 11 Prozent, unter dem Placebo 21 Prozent.

Im doppelblinden Teil der Studie fanden die Forscher keinen statistisch bedeutsamen Unterschied im Krankheitsverlauf zwischen der Placebo- und Medikamenten-Gruppe. Eine genauere Analyse zeigte jedoch, dass die Progressionsrate der Erkrankung bei einer Untergruppe von Patienten mit einer atypischen Form von PKAN unter Medikation – im Vergleich zur Gruppe insgesamt – um die Hälfte reduziert war. Darüber hinaus verlangsamte sich der Krankheitsverlauf der Placebogruppe um mehr als 60 Prozent, wenn nach 18 Monaten Placebogabe auf das Medikament umgestellt wurde.

Es handelt sich um die erste therapeutische Studie zu dieser Krankheit, „die Familien Hoffnung gibt, die an dieser tragischen neurodegenerativen Erkrankung leiden", sagt Elliot Vichinsky vom „Benioff Children's Hospital“ der Universität von Kalifornien in Oakland.

„Jede Verlangsamung des Krankheitsverlaufs ist ein wichtiger Schritt“

PKAN wird durch Mutationen in einem bestimmten Gen verursacht. Dieses Gen codiert die Bauanleitung für ein bestimmtes Protein, die Pantothenatkinase 2 (Pank2). Funktioniert Pank2 nicht oder fehlt es völlig, kann sich im Gehirn Eisen in giftig wirkenden Mengen ansammeln.

„Der Befund, dass toxisches Eisen im Gehirn durch einen Chelator deutlich gesenkt werden kann“, sagt Thomas Klopstock, „könnte auch für altersbedingte neurodegenerative Erkrankungen wie die Parkinson-Erkrankung wichtige Auswirkungen haben." Die Ergebnisse dieser Studie eröffnen zudem auch mögliche Therapien gegen Alzheimer und Multiple Sklerose, da diese Erkrankungen auch mit überschüssigem Eisen im Gehirn verbunden sind.

Titel der Originalarbeit

Klopstock T, Tricta F, Neumayr L, Karin I, Zorzi G, Fradette C, [...], Blamire AM, Hogarth P, Vichinsky E.
Safety and efficacy of deferiprone for pantothenate kinase-associated neurodegeneration: a randomised, double-blind, controlled trial and an open-label extension study
Lancet Neurology 2019;18(7):631-642

Quelle: KUM