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Den gemeinsamen Nenner finden

22. Januar 2019

Dorothee Dormann erforscht die Ursachen schwerer neurodegenerativer Erkrankungen. Für ihre Arbeiten wird die Biochemikerin nun mit dem Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis ausgezeichnet.

dormann_dormann Seit 2014 leitet Dormann eine unabhängige Emmy-Noether-Gruppe am Institut für Zellbiologie. (Foto: Philipp Thalhammer / LMU)

Neurodegenerative Erkrankungen haben viele Facetten. So sind bei der Amyotrophen Lateralsklerose und der Frontotemporalen Demenz unterschiedliche Arten von Nervenzellen betroffen. Beide Krankheiten äußern sich dementsprechend unterschiedlich. Bei ihrer Entstehung dagegen gibt es viele Gemeinsamkeiten – diesen ist Dorothee Dormann auf der Spur.
Die LMU-Biochemikerin forscht über die molekularen Mechanismen, die bei diesen Erkrankungen zum Absterben von Nervenzellen führen. Seit 2014 leitet Dormann eine unabhängige Emmy-Noether-Gruppe am Institut für Zellbiologie. Mit ihren Arbeiten, für die sie bereits den Heinz-Maier-Leibniz Preis erhielt – eine der wichtigsten Auszeichnungen für Nachwuchsforscher in Deutschland – konnte sie nachweisen, dass in beiden Fällen der Proteintransport in den Zellkern gestört ist, was letztlich zur Anhäufung und fatalen Verklumpung bestimmter Proteine in der Zelle führt. „Damit haben wir einen zentralen gemeinsamen Nenner beider Krankheiten gefunden. Zunehmend gibt es sogar Hinweise, dass dieser Prozess wahrscheinlich auch bei anderen neurodegenerativen Krankheiten, etwa bei Alzheimer und der Huntington-Krankheit, eine wichtige Komponente ist“, sagt Dormann. Für ihre Arbeiten wird die LMU-Forscherin im März 2019 mit dem mit 60.000 Euro dotierten international renommierten Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis ausgezeichnet werden.

Bislang lautet die Diagnose: unheilbar

Bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) sterben motorische Nervenzellen ab, die für das Ansteuern der Muskulatur und somit für Bewegung zuständig sind. Das führt zu fortschreitender Muskelschwäche und letztlich einer letalen Lähmung der Atemmuskulatur. Die Frontotemporale Demenz (FTD) ist die nach der Alzheimerschen Erkrankung zweithäufigste Form von Demenz bei unter 65-jährigen. Bei dieser Erkrankung kommt es zu einem massiven Abbau von Nervenzellen im Stirnhirn, was sich zunächst vor allem in massiven Persönlichkeitsveränderungen äußert. Beide Krankheiten sind unheilbar und führen meist innerhalb weniger Jahre zum Tod. Bei einem kleinen Prozentsatz der Patientinnen und Patienten kann die Krankheit auf genetische Veränderungen zurückgeführt werden. Diese erblichen Varianten der Krankheiten sind für die Forschung wertvoll, weil die mutierten Gene Rückschlüsse darauf zulassen, welche zellulären Wege gestört sind. „Wir glauben, dass diese Wege auch bei Patienten eine Rolle spielen, die die Mutation nicht tragen, und wollen herausfinden, wie diese sporadischen Erkrankungen entstehen“, sagt Dormann.

Fatale Tröpfchen

Das Interesse an ALS und FTD wurde bei der Biochemikerin geweckt, als sie im Jahr 2007 eine Stelle als Postdoktorandin im Labor von Professor Christian Haass antrat. Kurz zuvor war entdeckt worden, dass in Nervenzellen von ALS- und FTD-Patienten ungewöhnliche Ablagerungen zweier bestimmter Proteine vorkommen. „Seither hat mich dieses Thema nicht mehr losgelassen“, sagt Dormann.

Eigentlich sind diese Proteine, die mit TDP-43 und FUS abgekürzt werden, dafür zuständig, im Zellkern das Ablesen der genetischen Information zu steuern. Dormann konnte nachweisen, dass bei ALS und FTD ihr Eintransport in den Zellkern gestört ist. Daraufhin sammeln sich diese Proteine außerhalb des Zellkerns im Zytosol an, dem mit Flüssigkeit gefüllten Zellraum, und lagern sich in sogenannten Stressgranula ab, wo sie tropfenähnliche Strukturen bilden. Diese Proteintröpfchen entstehen durch eine sogenannte Phasentrennung, die derjenigen von Öltröpfchen in einer wässrigen Lösung ähnelt. „Die Bildung der Stressgranula ist eigentlich etwas Gutes, ein schützender Mechanismus, der in allen Zellen vorkommt. Wenn der Stress vorüber ist, lösen sie sich auch wieder auf“, sagt Dormann. Problematisch wird es, wenn bestimmte Kontrollmechanismen nicht mehr funktionieren und sich die Stressgranula irreversibel verfestigen. Dann können die Proteine zum einen ihre Funktion nicht mehr erfüllen und zum anderen im Zytosol eine schädliche Wirkung haben. „Beides zusammen scheint den Nervenzellen zu schaffen zu machen, sodass sie letztlich nicht mehr funktionieren und zugrunde gehen.“

Zentrale Angriffspunkte für Therapien finden

Die Biochemikerin ist überzeugt, dass auch abnormale chemische Modifikationen der Proteine FUS und TDP-43 einen wichtigen Beitrag zur Entstehung dieser neurodegenerativen Krankheiten leisten. Bei einem Teil der FTD-Patienten etwa fehlt eine bestimmte Modifikation des FUS-Proteins, eine sogenannte Methylierung, deshalb neigt das Protein zu stärkerer Aggregation. Auch für TDP-43 weiß man bereits, dass es bei ALS und FTD Patientinnen und Patienten eine abnormale Modifikation – in diesem Fall eine Phosphorylierung – gibt, deren Funktion Dormann derzeit erforscht. „Wahrscheinlich sind noch weitere Modifikationen beteiligt, die wir noch gar nicht kennen“, sagt Dormann. Deshalb arbeitet sie mit ihrer Gruppe daran, FUS und TDP-43 sowohl in Zellen unter Normalbedingungen als auch in gestressten Zellen näher zu charakterisieren. Dazu werden die Proteine in kleine Stücke zerlegt, deren Massen anschließend mithilfe massenspektrometrischer Methoden bestimmt werden. Da auch jede Modifikation eine bestimmte Masse mit sich bringt, kann man auf diese Weise identifizieren, welche Modifikationen das Protein aufweist. „Damit können wir erkennen, welche Modifikationen normalerweise vorhanden sind, und welche unter Stress abnormal hinzugefügt werden. Diese wollen wir dann funktional untersuchen und herausfinden, ob sie tatsächlich zur Krankheitsentstehung beitragen.“
Dormann hofft, dass ihre Forschung hilft, neue Behandlungsansätze für neurodegenerative Erkrankungen zu entwickeln. „Ganz unmittelbar sind wir noch nicht soweit, aber grundsätzlich wollen wir zentrale Angriffspunkte finden, mit denen man wirklich an den Ursachen ansetzen könnte.“ Dazu wird auch die Arbeit in einem neuen DFG-Schwerpunktprogramm zur Phasentrennung beitragen, das Dormann gemeinsam mit Kollegen aus Mainz, Dresden und Heidelberg initiiert hat und das im Frühjahr 2019 startet.

Quelle: LMU