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Leibniz Preis für Veit Hornung

14. Dezember 2017

hornung2 Veit Hornung (Photo: Jan Greune / LMU)

Das Leben ist ein immerwährender Kampf. Zumindest drängen sich solche Kategorien von Angriff und Verteidigung auf, wenn man den zellulären Mikrokosmos und die Funktionen des menschlichen Immunsystems in den Blick nimmt. Unser Körper geht rund um die Uhr gegen unzählige Bakterien und Viren vor, die sich andernfalls dort ausbreiten, Krankheiten auslösen und mitunter lebensbedrohlich sein können. In der Evolution des Menschen haben sich zwei große Verteidigungssysteme entwickelt, mit denen er sich zur Wehr setzen kann: das angeborene und das adaptive beziehungsweise erworbene Immunsystem. Beide zusammen müssen eine Aufgabe bewältigen, die zunächst einfach klingt, sich im Einzelnen jedoch als überaus kompliziert erweist: Sie müssen zwischen eigen und fremd unterscheiden, also zwischen Molekülen und Stoffen, die natürlicherweise im Körper vorkommen, und solchen, die von außen kommen und Schaden verursachen können.

Das angeborene Immunsystem ist dabei die erste Bastion. „Lange hat man seine Bedeutung unterschätzt“, sagt Veit Hornung, Professor für Immunbiochemie am Genzentrum der LMU. „Als zentral galt das erworbene Immunsystem mit seinen speziell trainierten B- und T-Zellen, die gezielt Antikörper produzieren oder als Killerzellen in Aktion treten können. Doch tatsächlich sind beide Systeme eng verzahnt, wobei dem angeborenen Immunstem eine wichtige Steuerungsfunktion zukommt.“ Wie sie genau zusammenwirken und mithilfe welcher molekularen Mechanismen die menschliche Immunantwort funktioniert, ist in vielen Details aber immer noch ein Rätsel.

Hornung und seine Arbeitsgruppe stellen insbesondere das angeborene Immunsystem in den Fokus ihrer Arbeit. Sie wollen die Strategien untersuchen, mit deren Hilfe es Gefahren für den Körper und mögliche Schädigungen früh erkennt. Hornung, Arzt und Immunologe, will herausfinden, wie es die körpereigene Abwehr in Zusammenarbeit mit dem erworbenen Immunsystem organisiert und koordiniert. Dabei interessieren ihn gerade auch die molekularen Details. Sie helfen verstehen, wie die Immunabwehr zum Beispiel fremde Erbsubstanz aufspürt und warum sie manchmal doch körpereigene Substanzen als gefährlich einstuft.

Die neuesten Erkenntnisse aus der Immunologie sind umso wichtiger, als mittlerweile klar ist, dass das angeborene Immunsystem nicht nur beim Erkennen von Bakterien, Viren und Schadstoffen eine zentrale Rolle spielt, sondern wohl auch bei Krankheiten wie Gicht, Typ-2-Diabetes („Alterszucker“), Alzheimer oder Arteriosklerose. Bei diesen Erkrankungen kommt es zu Entzündungsprozessen, die teilweise durch eine fehlgeleitete Aktivierung des angeborenen Immunsystems bedingt sind. Hier wären Medikamente, die das angeborene Immunsystem inhibieren, von Vorteil.

Wenn die Immunabwehr getäuscht wird

Andererseits kann man das Immunsystem auch gezielt gegen körpereigene Zellen scharf machen, indem man ihm vorgaukelt, dass eine Infektion vorliegt. So hoffen die Forscher, dass sich manche Erkenntnisse der angeborenen Immunität im Kampf gegen bestimmte Krebsarten einsetzen lassen könnten. Die Erkenntnisse der Immunologen aus der jüngsten Zeit verhelfen der Immuntherapie insgesamt wieder zu mehr Aufmerksamkeit. Nach der ersten Phase der Euphorie und der anschließenden Ernüchterung Anfang des Jahrtausends war es fast ein Jahrzehnt lang eher still geworden um mögliche maßgeschneiderte Impfstoffe mit spezialisierten Eiweißen, die gegen Krebsgeschwüre ankämpfen können, indem sie die körpereigene Immunabwehr mobilisieren. Als zu trickreich zeigten sich die Krebszellen, sie täuschen die Immunabwehr, indem sie Signale aussenden, die sie fälschlicherweise als „befreundet“ auswiesen. Da die Forscher aber die Signalwege besser verstehen, gelingt es ihnen mittlerweile bei manchen Krebsarten, die Eiweißmoleküle an der Oberfläche der Tumorzellen zu blockieren, die diese Tarnsignale aussenden. Ein nicht unbedeutender Fortschritt, der im Kampf ums Leben die Verteidigung stärkt.

Auch wegen dieser ermutigenden Ergebnisse aus der Immuntherapie erfährt die Immunologie derzeit einen regelrechten Boom, und hier vor allem die Forschung zum angeborenen Immunsystem. Im Fokus standen in den vergangenen Jahren vor allem Rezeptoren, die darauf spezialisiert sind, quasi als wachsame Detektive rasch Teile fremder Mikroorganismen zu erkennen. Für grundlegenden Erkenntnisse, wie etwa über sogenannte Toll-ähnliche-Rezeptoren (TLR) die angeborene Immunabwehr aktiviert wird, erhielten die Forscher Jules Hoffmann und Bruce Beutler vor fünf Jahren den Medizin-Nobelpreis. „Unter anderem durch ihre Arbeiten wurde erstmals bewiesen, dass das angeborene Immunsystem Rezeptoren besitzt, die tatsächlich in der Lage sind, mikrobielle Fremdmoleküle im Körper zu erkennen“, sagt Hornung.

Solche Mustererkennungs-Rezeptoren zu entdecken und ihre Signalwege zu entschlüsseln, ist dank neuer molekularbiologischer Methoden einfacher geworden. Mittlerweile haben Immunologen mehrere Familien solcher Mustererkennungs-Rezeptoren aufgespürt. Es sieht so aus, als hätten die Immunologen weltweit in den vergangenen Jahren praktisch alle relevanten Rezeptoren zumindest kartiert. Auch Hornungs Team hat Rezeptoren wie zum Beispiel AIM2 entdeckt, die Fremd-DNA im Zellinneren erkennen können. Nicht zuletzt wegen solcher Fortschritte ist Hornung mittlerweile einer der meistzitierten deutschen Forscher.

„Derzeit sind sechs oder sieben solcher Mustererkennungs-Rezeptor-Familien bekannt“, sagt er. Man kann sie nach der Lokalisation, danach also, ob sie beispielsweise in der Zellmembran oder im Zytoplasma exprimiert werden, nach ihrem groben Bauplan oder nach ihrer Funktionsweise unterscheiden. Aber nicht von allen kenne man die zentralen Signalwege im Detail, man wisse nicht genau, wie sie das Immunsystem aktivieren und welche Rolle sie genau im Rahmen von Infektionen oder entzündlichen Erkrankungen spielen, sagt Hornung. Auch ist bei manchen dieser Rezeptoren nicht klar, welche Strukturen sie eigentlich erkennen. „Mich treibt der Gedanke an zu verstehen, wie diese Systeme auf molekularer Ebene funktionieren und wie sie in der Zelle verschaltet sind.“

Dem Prinzip nach funktioniert das Erkennen fremder Strukturen nach einem einfachen Schema. Jeder Rezeptor verfügt offenbar jeweils über ein Suchbild, fahndet gezielt nach einem spezifischen molekularen Muster, das auf fremdes Material hinweist. Dabei suchen die Rezeptoren in der Regel nicht nach ganzen Viren oder Bakterien, sondern nach speziellen, charakteristischen Bestandteilen, die die normalerweise sehr wandelbaren Erreger nicht so leicht verändern können, da sie wichtige Funktionen ausüben. Beispielsweise sind dies bestimmte Zellwandbestandteile wie Lipopolysaccharide, die wichtig für die „Fitness“ der Erreger sind.

Selbst einfachste Organismen haben solche gespeicherten Suchraster. Es ist ein Abwehrprinzip aller Lebewesen vom Einzeller bis zum hochentwickelten Säugetier und dem Menschen, das seit Jahrmilliarden existiert. Da die bewährten Suchbilder mittels der entsprechenden Rezeptoren weitervererbt werden, spricht man von einem angeborenen Immunsystem. Das Immunsystem sortiert lediglich alte, nicht mehr gebräuchliche Fremdbilder aus. Auch das Grundmuster, nach dem der Organismus nach dem Erkennen reagiert, ist überall ähnlich. Erkennt der Rezeptor ein fremdes Muster, bindet er an den Eindringling und löst so Alarm aus. Die initiale Immunantwort erfolgt in der Regel sehr schnell, ist aber oft nicht besonders spezifisch. Werden die eindringenden Mikroorganismen von der ersten Verteidigungslinie, den Fresszellen, zwar erkannt, können aber nicht zerstört werden, entsteht eine lokale Entzündung; der Körper aktiviert in der Folge über eigens freigesetzte Botenstoffe das erworbene Immunsystem. Beide Systeme arbeiten Hand in Hand.

Indirekte Art der Gefahrenerkennung

Im Lauf der letzten Jahre hat sich Hornung in seiner Forschung auf ein ungewöhnliches Phänomen der Körperabwehr spezialisiert. Das Immunsystem reagiert nämlich nicht nur direkt auf Eindringlinge von außen, sondern auch auf die Schäden oder Veränderungen, die diese in Zellen anrichten. „Das ist so, als würde man einen Einbrecher nicht direkt an seinen Fingerabdrücken erkennen, sondern indirekt an dem aufgebrochenen Türschloss oder dem kaputten Fenster, das er hinterlässt“, sagt Hornung, schließlich werden Schäden beziehungsweise Veränderungen an körpereigenen Substanzen ausgelöst und dann erkannt.

Evolutionär hat diese indirekte Art der Gefahrenerkennung den Vorteil, dass sie nicht so leicht durch Bakterien oder Viren ausgetrickst werden kann. Sobald Erreger in Zellen eindringen, müssen sie früher oder später bestimmte Barrieren durchbrechen, was wiederum verräterische Schäden an Zellbestandteilen hinterlässt und damit das angeborene Immunsystem alarmiert. Die molekulare Beschaffenheit der Erreger selbst ist bei dieser Art der Erkennung zweitrangig, da Fremdmoleküle hier nicht unbedingt erkannt werden müssen. Lange Zeit glaubten die meisten Immunologen, dass das angeborene Immunsystem darauf gar nicht geeicht sein kann, weil es dem Dogma der Fremderkennung widersprach, aber in den letzten Jahren häufen sich die Studien, die hier eindeutige Beweise liefern können.

Hornung will sich in Zukunft noch mehr auf diesen neuen Aspekt der Schadenserkennung durch das Immunsystems fokussieren. Es zeigt sich nämlich, dass diese Art der Immunaktivierung auch im Rahmen von Erkrankungen zum Tragen kommt, bei denen keine mikrobiellen Erreger im Spiel sind. Hier handelt sich teilweise um sehr häufige Volkserkrankungen wie der Gicht oder dem Diabetes. „Wir sprechen dann von sterilen Entzündungsprozessen“, erklärt Hornung. „Die Entzündungsreaktion, die hier durch das Immunsystem ausgelöst wird, muss bei diesen Erkrankungen gar nicht im Vordergrund stehen, auf den Krankheitsverlauf hat sie aber langfristig einen negativen Einfluss.“ Das angeborene Immunsystem spürt hier offenbar auf, dass der Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht geraten ist und untypische Veränderungen an körpereigenen Molekülen oder Schäden an Zellen aufgetreten sind. Hornung nennt diese charakteristischen Signale DAMPs (damage associated molecular patterns). Diese molekularen Muster werden durch die gleichen Mustererkennungsrezeptoren detektiert, die bei der Erkennung von Bakterien oder Viren zum Einsatz kommen. „Wir wollen verstehen, wie Rezeptoren die Muster hinter bestimmten Zellschäden erkennen, und warum das angeborene Immunsystem dabei manchmal überreagiert“, sagt Hornung.

Hochmoderne Gene-Editing-Technologien

Im Detail sind die Signalwege meist extrem komplex aufgebaut. Oft sind mehrere Rezeptoren gleichzeitig daran beteiligt, Bakterien oder Viren oder Zellstress aufzuspüren. Im Lauf der Signalübertragung entsteht zudem eine Reihe von Zwischenprodukten, manche davon sind wichtiger, andere weniger. Die Forscher suchen nach den jeweiligen zentralen Knotenpunkten in den funktionalen Netzwerken. „Manchmal steht man Jahre vor einem System und versteht es einfach nicht, weil ein entscheidender Baustein fehlt“, sagt Hornung. „Ist er gefunden, sieht alles plötzlich ganz leicht aus.“

Mithilfe neuer Technologien kann Hornungs Gruppe mittlerweile komplexe biologische Systeme als Ganzes betrachten, immer öfter auch in menschlichen Zellen. Hierbei helfen unter anderem hochmoderne Gene-Editing-Technologien, mit denen man gezielt Eingriffe in das Genom vornehmen kann. Mit Hilfe dieser Systeme haben die Forscher ein Verfahren entwickelt, mit dem sie einzelne Gene in Zellen, die menschlichen Monozyten sehr ähnlich sind, ausschalten können. Damit haben sie ein ideales Modell, denn dieser Zelltyp spielt eine zentrale Rolle bei der Steuerung der Immunantwort im Körper. So können sie an menschlichen Zellen die Wirkung der genetischen Veränderungen beobachten und im Detail verstehen lernen, welche Komponenten bei der Signalübertragung eine entscheidende Rolle spielen. Und sie können vor allem auch untersuchen, wie die Rezeptoren eigentlich aktiviert werden. „Wir sind dabei nicht mehr allein auf das Mausmodell, das klassische Tiermodell der Immunologie angewiesen“, sagt Hornung.

Erst jüngst konnten Hornung und sein Team so im Detail analysieren, wie der Botenstoff Interleukin-1 (IL-1) von Monozyten ausgeschüttet wird. IL-1 spielt eine wesentliche Rolle, wenn wir Fieber bekommen oder ein Entzündungsprozess im Körper stattfindet. Die Forscher entdeckten dabei einen bis dahin unbekannten Signalweg, der bei vergleichbaren Mauszellen nicht aktiv ist. Die LMU-Forscher konnten mit nur einem Stimulus das sogenannte NLRP3-Inflammasom aktivieren, einen Rezeptor, der eine Schlüsselrolle bei entzündlichen Erkrankungen wie Gicht, Typ-2-Diabetes oder Arteriosklerose spielt. Im Maus-Modell wurde dieser Signalweg nur nach der gleichzeitigen Gabe von zwei Stimuli aktiv. „Wir glauben, dass dieser neu skizzierte Signalweg eine entscheidende Rolle in Entzündungsprozessen beim Menschen spielt“, sagt Hornung. „Menschliche Zellen zeigen in manchen Bereichen offenbar ein ganz anderes Verhalten als Mauszellen. Womöglich sind einige der bisher etablierten Mausmodelle zur Entstehung von Entzündungen nur bedingt auf den Menschen anwendbar.“

Hornung hofft, dass seine neue Methode hilft, die zellbiologischen und molekularen Grundlagen von Immunerkrankungen besser zu verstehen. Möglicherweise lassen sich so sich auch neue Angriffspunkte für Therapien finden. Das NLRP3-Inflammasom wäre ein solcher Kandidat. „Wir arbeiten im Moment mit Hochdruck daran, diese wichtige Schaltstelle des angeborenen Immunsystems zu verstehen. Im Moment ist uns jedoch nicht klar, wie NLRP3 genau aktiviert wird. Wir wissen nur, dass jeglicher Stress, der die Zellmembran durchlässig macht, NLRP3 anschaltet.“ Für die Entwicklung eines Wirkstoffes wäre es jedoch wichtig, die genaue Funktionseise dieser Kaskade zu verstehen. Die Forscher planen, Schritt für Schritt jedes Gen in humanen Monozyten auszuschalten, um dem genauen Mechanismus auf die Spur zu kommen. „Der Aufwand ist immens, aber das ist es uns wert, zumal wir diesem Mechanismus eine zentrale Bedeutung in sterilen Entzündungsprozessen zuordnen.“ Die Vorgänge rund um die Schadenserkennung zu verstehen, könnte in Zukunft bei einer Reihe von klassischen Wohlstandskrankheiten zu neuen Therapien führen. Kennt man die Signalwege und beteiligten Botenstoffe, könnte das möglicherweise ein neuer therapeutischer Ansatz zur Behandlung von Erkrankungen wie Gicht, Diabetes oder Arteriosklerose sein.

Prof. Dr. Veit Hornung ist Inhaber des Lehrstuhls für Immunbiochemie am Genzentrum der LMU. Hornung, Jahrgang 1976, studierte Medizin an der LMU, leitete eine Nachwuchsgruppe in der Abteilung für Klinische Pharmakologie am LMU-Klinikum und war Postdoktorand an der University of Massachusetts Medical School in Worchester, USA. In 2008 wurde Hornung zum Professor für Klinische Biochemie am Universitätsklinikum Bonn berufen, danach war er dort Direktor des Instituts für Molekulare Medizin, bevor er im Jahre 2015 an die LMU kam.

Quelle: LMU (Text und Bildnachweis)