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ALS und Demenz

„Erstaunlich, dass sich der Mechanismus beider Erkrankungen so ähnelt.“

haass Professor Dr. Christian Haass
„Der ,Adresszettel’ für Proteine ist fehlerhaft“

„Erstaunlich, dass sich der Mechanismus beider Erkrankungen so ähnelt“, sagt Prof. Christian Haass, Sprecher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen an der LMU, nach den jüngsten Erkenntnissen seines Teams und meint die „Amyotrophe Laterale Sklerose“ (ALS) und die frontotemporale Demenz. Die ALS ist eine Krankheit des motorischen Nervensystems: Zunehmend und unaufhaltbar sterben im Rückenmark jene Nervenzellen, die die Muskeln steuern. Die Folge: Muskelschwäche mit Lähmungen und Muskelschwund. Verlust von Nervenzellen im Stirn- und Schläfenlappen des Gehirns kennzeichnet hingegen die frontotemporale Demenz. Die Patienten verlieren Sprache und Persönlichkeit.

Tatsächlich leiden auch viele ALS-Patienten an kognitiven Behinderungen und viele Patienten mit frontotemporaler Demenz an motorischen Störungen. „Das hat mich fasziniert“, sagt Prof. Haass, der zusammen mit Dr. Dorothee Dormann im Sonderforschungsbereich 596 der Deutschen Forschungsgemeinschaft die molekularen Ursachen der Neurodegeneration erkundet. Es zeigte sich: Bei beiden Erkrankungen finden sich im Zytoplasma der betroffenen Nervenzellen Ablagerungen entweder des Proteins TDP- 43 oder des Proteins FUS. In gesunden Zellen sind diese Proteine fast ausschließlich im Kern der Zellen zu finden, wo sie an die Erbsubstanz DNA und an DNA-verwandte Moleküle, die RNA, binden.

Das FUS-Protein könnte eines Tages Ansatzpunkte für Therapien eröffnen.

Das Münchner Team hat genau untersucht, was in den kranken Zellen passiert. In Patienten mit genetisch vererbter ALS finden sich im Gen für das FUS-Protein „zahlreiche Mutationen“, wie Christian Haass erklärt – und zwar in einem ganz bestimmten Bereich des Gens bzw. des von diesem Gen kodierten Proteins. Dadurch ist das Protein so verändert, dass es nicht mehr aus dem Zytoplasma in den Zellkern transportiert wird. In diesem Bereich befindet sich also eine Art Adressenzettel, mit dessen Hilfe die Zelle ein Protein zu seinem Bestimmungsort, in diesem Falle den Zellkern, transportiert. „Unsere Experimente zeigen, dass dieser Adressenzettel unerlässlich für den Transport in den Kern ist“, betont der Molekularbiologe. Mehr noch: Patienten mit aggressiven, schon früher beginnenden Formen der Erkrankungen besitzen kaum noch FUS in den Kernen der betroffenen Nervenzellen. Bei weniger aggressiven und später einsetzenden Formen der Erkrankungen verbleibt wenigstens ein Rest FUS in den Zellkernen. „Wir gehen davon aus, dass der Verlust der Funktion von FUS im Zellkern ein erster entscheidender Schritt in der Krankheitsentstehung ist“, sagt Prof. Haass.

Ob die unlöslichen Proteinablagerungen im Zytoplasma zusätzlich giftig wirken, bleibt noch offen. Wahrscheinlich aber entstehen die Ablagerungen nach den Erkenntnissen des Münchner Teams aus Vorstufen. Wenn man das FUS-Gen an den entscheidenden Stellen des Adressenzettels verändert und es dann in gesunde Zellen einschleust, wird FUS – wie in der Krankheit – schlechter in den Zellkern transportiert. Das allein reicht aber nicht, um die krankheitstypischen Ablagerungen zu bilden. Erst nach zellulärem Stress, beispielsweise mit Hitze, bilden sich so genannte Stress-Granula, die im Mikroskop als Körnchen erkennbar, aber noch immer löslich sind. Ähnliche Granula finden die Forscher auch in den Zellen der Patienten. Dort aber werden sie schließlich zu den unlöslichen Ablagerungen. „Offenbar sind zwei Schlüsselprozesse nötig, damit die Zelle letztlich degeneriert“, sagt Christian Haass: ausbleibender oder reduzierter Transport des FUS-Proteins in den Kern und Zellstress. Das könnte eines Tages Ansatzpunkte für Therapien eröffnen.

Quelle: Jahresbericht 2010 (Text und Bildnachweis)