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„Sie haben (vielleicht) Krebs“ – von Wahrheit und Wahrscheinlichkeit

09. Juni 2023

Ärztliche Befunde sind nicht immer einfach zu verstehen und die Aussagen zum Risiko, das damit verbunden ist, womöglich noch weniger. Denn statistische Informationen an die Patientin oder den Patienten zu bringen, ist keine simple Angelegenheit.

gespräch LMU-Studie zeigt: Ob Patienten ihre Risiken richtig einschätzen können, hängt auch davon ab, auf welche Weise Ärzte ihnen statistische Informationen vermitteln. (Bild: LMU Klinikum)

Ein Team aus Wissenschaftlern aus den Fachbereichen Medizin, Medizindidaktik und Mathematikdidaktik der LMU und des LMU Klinikums hat nun im Fachmagazin PLOS ONE eine Studie dazu veröffentlicht, wie die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten über tatsächliche Risiken besser funktionieren kann. Dies ist eine von ganz wenigen Arbeiten weltweit, die sich in einer randomisierten, prospektiven Interventionsstudie mit der Arzt-Patienten-Kommunikation befasst.

„Die Entwicklung moderner Technologien suggeriert Patientinnen und Patienten immer wieder eine 100%igkeit, die in der Medizin aber niemals existiert. Andererseits sind die Menschen häufig verängstigt oder enttäuscht, wenn sie bemerken, dass ein Testergebnis auch falsch sein kann. Für viele Patientinnen und Patienten ist es erleichternd, wenn sie die dahinterliegende Statistik verstehen und selbst die Lage einschätzen lernen.“, sagt Professor Ralf Schmidmaier, Letztautor der Studie und Stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik IV am LMU Klinikum München.

„Aussagefähige Daten sind die Grundlage für gute und patientengerechte medizinische Entscheidungen. Die Daten allein nützen aber wenig, wenn sie nicht in einer gut verständlichen Form dargestellt und erklärt werden.“, unterstreicht der Medizindidaktiker Martin Fischer, Inhaber des Lehrstuhls für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin am LMU Klinikum München.

Denn was bestimmte Zahlen wirklich bedeuten, ist oft gar nicht so leicht zu begreifen. „Selbst Ärzte haben oft Schwierigkeiten, den richtigen Vorhersagewert zu bestimmen. Und wenn die Daten schon für den Arzt schwer zu interpretieren sind, ist es noch schwerer, sie korrekt und verständlich an die Patienten zu vermitteln.“, sagt Mathematikdidaktikerin Karin Binder, eine der Autorinnen der Studie.

Nehmen wir zum Beispiel den folgenden Fall: Ein Patient hat gerade erfahren, dass der Verdacht auf Krebs sich erhärtet hat, weil seine Schilddrüse in der Sonografie Auffälligkeiten gezeigt hat. Bedeutet das, dass der Patient an einem Schilddrüsenkarzinom erkrankt ist? Nicht unbedingt. Denn das Ergebnis der Untersuchung kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch positiv sein, obwohl der Patient gar kein Schilddrüsenkarzinom hat.

Um dem Patienten zu erklären, wie sich die statistischen Zusammenhänge nach einem solchen positiven Testergebnis darstellen, gibt es zwei Ansätze. Bei einem davon muss man erst einmal um die Ecke denken, der andere ist aus Patientensicht deutlich leichter zu interpretieren, wie die Forschenden nachweisen konnten.

Bayesianische vs. Diagnostische Information

Beim häufig gewählten Bayesianischen Ansatz geht man von der Anzahl der tatsächlich Erkrankten aus. Man erklärt also zunächst, wie häufig die untersuchte Krankheit insgesamt auftritt, also beispielsweise „von 1000 Patienten haben 50 ein Schilddrüsenkarzinom“. Dann gibt man an, bei wie vielen dieser Erkrankten das Testergebnis positiv ausgefallen ist (20 der 50 Erkrankten) und zusätzlich, wie viele nicht-erkrankte Menschen trotzdem ein positives Testergebnis aufweisen (110 der übrigen 950)

Das sind nämlich genau die Informationen, die dem Arzt in der Regel auch bekannt sind oder recherchiert werden können. Der Anteil positiv getesteter Personen unter den erkrankten Personen wird auch als Sensitivität bezeichnet – ein Begriff, der uns auch während der Corona-Pandemie begegnet ist, z.B. als ein Qualitätskriterium von Schnelltests. Leider wird aber der Anteil positiv getesteter Personen unter den Erkrankten häufig verwechselt mit dem Anteil der erkrankten Personen unter den positiv getesteten Personen. Diese beiden Anteile können sich aber je nach Situation ganz drastisch unterscheiden.

Was bedeuten nun obige Zahlen in Bezug auf eine Person mit positivem Testergebnis? Wie viele der positiv getesteten Personen sind tatsächlich erkrankt? Falls Sie das nicht sofort wissen, sind Sie nicht allein: Ohne weitere Informationen waren nur 10% der Testpersonen in der Lage zu errechnen, wie viele Menschen mit positivem Ergebnis wirklich erkrankt sind.

Ganz anders sieht es hingegen bei der „diagnostischen“ Informationsvermittlung aus: Hier erfährt man zuerst, wie viele Patienten ein positives Testergebnis haben, unabhängig davon, ob sie wirklich krank sind, oder nicht. Im Beispiel wären das 130 Personen mit einer auffälligen Schilddrüsen-Sonografie (von 1000 Untersuchten). Anschließend wird man darüber aufgeklärt, wie viele dieser positiv Getesteten wirklich erkrankt sind (20 von 130) und wie viele Menschen ebenfalls krank sind, obwohl ihr Testergebnis negativ war (30 von 870).

Die relevante Information ist hier direkt und ohne Kopfrechnen enthalten: Wenn mein Befund positiv ist, stehen meine Chancen 20 zu 130, dass ich wirklich Schilddrüsenkrebs habe. Bei dieser Kommunikationsform waren 72% der Studienteilnehmer dazu in der Lage, zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen, im Vergleich zu den 10% beim Bayesianischen Ansatz.

Wie vermittelt man statistische Informationen am besten?

„Hinzu kommt, dass die Probanden bei der Bayesianischen Kommunikation erheblich langsamer zum richtigen Ergebnis kamen, wenn überhaupt.“, sagt Karin Binder. „Diese Verarbeitungszeit ist in Arztpraxen und Krankenhäusern aber oft nicht vorhanden.“ Das Autorenteam plädiert deshalb dafür, dass Ärzte in Zukunft vermehrt auf die diagnostische Informationsvermittlung setzen. So könnte Verwirrung, Fehlinterpretationen und falsche Entscheidungen besser begegnet werden.

Nehmen wir zum Beispiel den folgenden Fall: Ein Patient hat gerade erfahren, dass der Verdacht auf Krebs sich erhärtet hat, weil seine Schilddrüse in der Sonografie Auffälligkeiten gezeigt hat. Bedeutet das, dass der Patient an einem Schilddrüsenkarzinom erkrankt ist? Nicht unbedingt. Denn das Ergebnis der Untersuchung kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch positiv sein, obwohl der Patient gar kein Schilddrüsenkarzinom hat.

Noch besser wäre sogar, sich ausreichend Zeit zu nehmen und dem Patienten ein vollständiges Bild der Situation zu erklären, das sowohl diagnostische als auch Bayesianische Informationen enthält. Nur so kann der überraschende Effekt erklärt werden, warum sogar die Vorhersagekraft eines medizinischen Tests mit hervorragenden Gütekriterien unter bestimmten Umständen (z.B. bei Massen-Screenings) eine sehr begrenzte Aussagekraft hat.

Titel der Originalarbeit

Sarah Frederike Brose, Karin Binder, Martin R. Fischer, Martin Reincke, Leah T. Braun, Ralf Schmidmaier ,
Bayesian versus diagnostic information in physician-patient communication: Effects of direction of statistical information and presentation of visualization. “
PLoS One, 2023

Quelle: LMU