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Die innere Uhr in Bakterien: erstaunlich komplex

04. August 2023

Ein internationales Team um Chronobiologinnen der LMU analysiert zirkadiane Rhythmen in einfach gebauten Mikroorganismen – und findet Mechanismen, die in vielem an Pendants in höheren Lebewesen erinnern.

Bakterien machen mehr als ein Zehntel der gesamten Biomasse auf der Erde aus. Aber bis vor Kurzem war nicht einmal klar, dass Bodenbakterien ebenso wie Menschen über eine innere Uhr verfügen, die ihre Aktivitäten mit den 24-Stunden-Zyklen von Tag und Nacht auf der Erde synchronisiert.

Ein internationales Team um die LMU-Chronobiologinnen Martha Merrow und Francesca Sartor vom Institut für Medizinische Psychologie zeigt jetzt, wie komplex und ausgeklügelt die zirkadianen Uhren in Bakterien sind, und ebnet damit den Weg für eine neue Phase der Forschung, die potenzielle Anwendungsmöglichkeiten eröffnet – von der präzisen Zeitplanung für den Einsatz von Antibiotika bis hin zum Bioengineering intelligenterer Mikrobiome in Darm und Boden. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des John Innes Centre (Norwich, UK), der Technischen Universität Dänemark (Lyngby) und der Universität Leiden untersuchten die LMU-Forschenden die Genexpression in dem weit verbreiteten Bodenbakterium Bacillus subtilis und lieferten damit den Beweis, dass die Uhr aktiv ist.

„Die zirkadiane Uhr ist in diesem Mikroorganismus in vielfältige Funktionen eingebunden. Wir sehen, dass sie mehrere Gene und eine Reihe von verschiedenen Verhaltensweisen reguliert“, sagt Dr. Francesca Sartor, Erstautorin der Studie. „Es ist erstaunlich, dass ein einzelliger Organismus mit einem so kleinen Genom eine zirkadiane Uhr mit Eigenschaften besitzt, die an Uhren in komplexeren Organismen erinnern“, fügt Professor Antony Dodd vom John Innes Centre hinzu.

Frühere Arbeiten des Teams hatten die Existenz einer zirkadianen Uhr in einem im Labor hergestellten Stamm von Bacillus subtilis bereits erstmals nachgewiesen. Die Forscher verwendeten dazu eine Technik, bei der ein Enzym namens Luciferase eingesetzt wird, das Licht erzeugt, wenn ein Gen exprimiert wird. Diese Biolumineszenz ermöglichte es dem Team, die bakterielle Uhr unter verschiedenen Bedingungen zu überwachen.

Professor Martha Merrow, Hauptautorin der Veröffentlichung, sagt: „Diese Studie zeigt, dass zirkadiane Uhren in Bacillus subtilis weit verbreitet sind. Wir könnten uns das Wissen über die Uhr zunutze machen, um die Gesundheit zu verbessern und die Nachhaltigkeit der Lebensmittelproduktion oder der Biotechnologie zu erhöhen.“

In einem Bakterium mit nur 4.000 Genen

Sie sieht die Studie aus mehreren Gründen als einen wichtigen Schritt nach vorn. Sie zeige, dass zirkadiane Uhren auch in anderen natürlich vorkommenden Stämmen von Bacillus subtilis vorkommen, so dass naheliegt, dass sie in den Bakterien weit verbreitet sind. Außerdem sind die circadianen Rhythmen in den Bakterien sowohl bei konstanter Dunkelheit als auch bei konstantem Licht aktiv. Und: Die Forscher fanden zahlreiche Beispiele für differenzierte Reaktionen, wie sie in zirkadianen Uhren vieler anderer Organismen zu finden sind.

Die Uhr von Bacillus subtilis reagiert spezifisch und deutlich auf unterschiedliche Lichtmengen (Fluenzraten) und -qualitäten (Wellenlängen). So wurde beispielsweise der Takt der Uhr durch die Lichtintensität beeinflusst. Sie speicherte zudem Informationen darüber, wie viel Licht zur Synchronisation verwendet wurde. Auch dadurch wird der Rhythmus der Uhr beeinflusst. Auf dem Gebiet der zirkadianen Biologie sind solche Reaktionen als „Nacheffekte“ bekannt. Schließlich zeigte das Team, dass sowohl blaues als auch rotes Licht – beides kommt im Tageslicht vor – zur Synchronisierung der Uhr verwendet werden können. All dies deutet darauf hin, dass die Bakterien – wie auch komplexere Organismen – ihre Physiologie und ihren Stoffwechsel mit unterschiedlichen Tageszeiten synchronisieren können, wenn sich die Licht- und Temperaturbedingungen ändern.

„Dies wiederum bietet Möglichkeiten für Biotechnologie, Medizin und Pflanzenwissenschaft: Das Wissen über Eigenschaften bakterieller zirkadianer Uhren könnte bei industriellen Anwendungen der Mikrobiologie helfen; es könnte zu einem neuen Verständnis darüber führen, wie Mikrobiome gebildet werden, und könnte Aufschluss darüber geben, wie gut Antibiotika zu bestimmten Tageszeiten wirken. Die Erkenntnisse könnten auch beim Pflanzenschutz helfen. Bacillus subtilis ist schließlich ein nützliches Bodenbakterium, das von Landwirten zur Unterstützung des Nährstoffaustauschs, der Pflanzenentwicklung und der Abwehr von pathogenen Mikroben eingesetzt wird.

Das Team will Bacillus subtilis als Modellorganismus für die Untersuchung der zirkadianen Uhr in Bakterien entwickeln. Zunächst gelte es herauszufinden, welche Gene für den Mechanismus verantwortlich sind. Auch wollen die Wissenschaftler auch die Frage beantworten, ob und wie die zirkadiane Uhr von B. subtilis von der multizellulären Organisation von Bakterienverbänden abhängt, damit sie voll funktionsfähig ist.

Professor Ákos T. Kovács von der Universität Leiden und der Technischen Universität Dänemark sagte: „Der französische Biologe Jacques Monod sagte einmal: ,Was für E. coli gilt, gilt auch für den Elefanten.‘ Damals bezog er sich auf die universellen Regeln der Molekularbiologie – von DNA und Proteinen. In ähnlicher Weise ist es erstaunlich, dass Bacillus subtilis – ein Bakterium mit nur 4.000 Genen – ein komplexes zirkadianes System besitzt, das an die zirkadianen Uhren in komplexen Organismen wie Fliegen, Säugetieren und Pflanzen erinnert.“

Titel der Originalarbeit

F Sartor, X Xu, T Popp, A N Dodd, Á T Kovács, and M Merrow ,
The circadian clock of the bacterium B. subtilis evokes properties of complex, multicellular circadian systems
Science Advances, 2023

Ansprechpartner

Prof. Martha Merrow,
Institut für Medizinische Psychologie,
Medizinische Fakultät, LMU München
="" merrow@lmu.de=""

="" ="" Francesca="" Sartor="" Institut="" f="" r="" Medizinische="" Psychologie,="" ="" Medizinische="" Fakult="" t,="" LMU="" M="" nchen="" ="" francesca.sartor@med.uni-muenchen.de

Quelle: LMU Klinikum