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Die LMU ist in der KI-Forschung gut positioniert

20. November 2020

Ein Assistent für Astronauten, ein Tool gegen Kreditkartenbetrug, neuartige Diagnostik - LMU-Forscher entwickeln und nutzen vielfältig KI-gestützte Verfahren.

buchheim Dr. Judith-Irina Buchheim und Prof. Dr. Alexander Choukèr von der Klinik für Anästhesiologie am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München (Bild: LMU )

„Wach auf, Cimon!“ Mit diesen Worten erweckte der deutsche Astronaut Alexander Gerst auf der Internationalen Raumstation ISS Ende letzten Jahres seinen künstlichen Mitbewohner zum Leben. Das fliegende Helferlein reagierte prompt: „Was kann ich für dich tun?“, fragte er. Cimon ist der weltweit erste fliegende und autonom agierende Assistenzroboter mit künstlicher Intelligenz (KI). Die menschlichen Aspekte haben ihm LMU-Mediziner beigebracht. „Cimon kann als Partner und Begleiter Astronauten bei ihrem hohen Pensum an Experimenten, Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten unterstützen“, erklärt LMU-Medizinerin Dr. Judith-Irina Buchheim. Denkbare Ansätze auf der Erde sind laut ihrem Kollegen, Professor Alexander Choukèr, die Unterstützung von Ingenieuren, Forschern und Ärzten, das KI-basierte Erfragen von Symptomen oder das Begleiten von alleinstehenden Senioren im Alltag.

Um den Anschluss an China und die USA nicht zu verlieren, will die Bundesregierung bis 2025 bundesweit insgesamt drei Milliarden Euro investieren. Mit dem Geld sollen unter anderem 100 neue Professuren geschaffen und die Projektfinanzierung erleichtert werden. Auch sind Pseudonymisierungs- und Anonymisierungsverfahren geplant, damit Forschern mehr Daten zur Verfügung stehen. Die LMU erhält vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für das Munich Center for Machine Learning, ein Kompetenzzentrum für Maschinelles Lernen, bis 2022 sechs Millionen Euro. Weitere rund 730.000 Euro bekommt sie bis 2021 im Rahmen des Verbundprojekts „MLwin – Maschinelles Lernen mit Wissensgraphen“. Insgesamt stehen der LMU in den nächsten drei Jahren rund 9,3 Millionen für KI-Projekte zur Verfügung. Dabei stehen keine Roboter, sondern die körperlose KI im Fokus, „Embodiment“ lautet das Schlagwort. Auch die bayerische Staatsregierung hat angekündigt, rund 300 Millionen Euro in das Kompetenznetzwerk Künstliche Maschinelle Intelligenz zu investieren.

Wie sinnvoll das ist, zeigt das Beispiel von Christian Wachinger. Er leitet eine Nachwuchsforschergruppe zur Auswertung medizinischer Bilder durch KI an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der LMU. Durch ein neues Verfahren können Gehirnstrukturen in 3D-MRT-Aufnahmen durch neuronale Netze automatisch segmentiert werden. Klingt kompliziert? Kurz gesagt müssen Ärzte auf die Auswertung klinischer Bilder nicht mehr Stunden, sondern nur noch weniger als 20 Sekunden warten. „Das hat auch weitreichende Folgen für die Verarbeitung großer Studien“, erklärt Wachinger. Da alle Modelle und der Quellcode öffentlich sind, können auch andere Wissenschaftler die Methode nutzen – zudem steht sie einfach zugänglich als Webservice zur Verfügung. Künftig, ist der Neuroinformatiker überzeugt, haben Ärzte durch KI-Systeme deutlich mehr Zeit für den Kontakt mit den Patienten.

Krankheiten mittels KI früher erkennen

Professor Nikolaos Koutsouleris von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am LMU-Klinikum nutzt Mustererkennungsalgorithmen und maschinelle Lernverfahren, um Diagnosen, Prognosestellungen und Therapieauswahl bei Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen besser und schneller zu treffen. Dabei benötigt der trainierte Lernalgorithmus nur acht klinische Variablen, die in fünf Minuten erhoben werden können – beispielsweise der Schweregrad der Erkrankung oder die Symptombelastung. In Zukunft wird diese Modellbibliothek um weitere prognostische und diagnostische Modelle erweitert werden. „Wir hoffen, ein breites Portfolio an Instrumenten für eine verbesserte Früherkennung und damit natürlich auch Prävention psychischer Erkrankungen bereitstellen zu können“, erläutert Koutsouleris. Künftig will er auch eng mit Professor Markus Bühner vom Department Psychologie zusammenarbeiten.

Der Lehrstuhlinhaber an der Fakultät für Psychologie und Pädagogik hat sich auf die Erhebung und Analyse von Auto- oder Handydaten spezialisiert – daraus kann er zum Beispiel das Geschlecht des Nutzers ablesen. „Diese Informationen können dafür genutzt werden, Systeme und Inhalte besser an einzelne Personen anzupassen“, erklärt Bühner. Aktuell arbeitet sein Team interdisziplinär mit Statistikern und Informatikern der LMU an einer App zur mobilen Verhaltensdatensammlung. Durch Mobile Sensing können einerseits Vorhersagen von Persönlichkeitsmerkmalen auf den beruflichen Erfolg getroffen werden. Andererseits können die Daten zur Prävention psychischer Erkrankungen genutzt werden. „Dadurch können wir Personen helfen, die nicht merken, dass sie sich in ärztliche oder psychologische Behandlung begeben sollten“, erklärt Bühner.

Dr. Alexander Fraser von der Fakultät für Sprach-und Literaturwissenschaften ist Spezialist für automatische Übersetzungen. „Früher schrieben Computerlinguisten viele Regeln auf, um zu erklären, wie Computer übersetzen sollen. Bei unserem Ansatz geht es darum, Computer selbst lernen zu lassen“, sagt Fraser. Kürzlich half er dem National Health Service (NHS), dem staatlichen Gesundheitssystem in Großbritannien, die Informationen auf ihrer Webseite in anderen Sprachen anbieten zu können. Speziell in Schottland gibt es viele Haushalte, in denen polnisch oder rumänisch gesprochen wird. Aber was ist, wenn es bisher nicht viele Übersetzungen in eine Sprache gibt? Künftig sollen durch „Unsupervised Learning“, also unüberwachtes Lernen, auch Übersetzungen in solche Sprachen möglich sein – zum Beispiel Minderheitssprachen wie Niedersorbisch, das in der Niederlausitz gesprochen wird.

Auf ein ähnliches Konzept setzten die Klimaforscher Stephan Rasp und Professor George Craig von der Fakultät für Physik. Für die Vorhersage von Klimaentwicklungen braucht es eine enorme Anzahl physikalischer Daten – selbst Supercomputer kommen damit an ihre Kapazitätsgrenzen. Die Meteorologen haben daher einen Algorithmus für Klimavorhersagen trainiert, indem sie ihn mit Daten aus hochauflösenden Simulationen gefüttert haben. „Am Ende konnte der Algorithmus die Ergebnisse der herkömmlichen Modelle sehr gut reproduzieren, hat dabei aber deutlich schneller gearbeitet“, veranschaulicht Rasp. Auch Craig ist überzeugt, dass die Methodik das Potenzial hat, die Klimasimulation zu verbessern. Vielleicht ist die Wettervorhersage also eines Tages tatsächlich das: eine Vorhersage, keine Einschätzung.

Selbstötungen durch KI verhindern

KI spielt auch am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung eine Rolle. Dr. Mario Haim zum Beispiel beschäftigt sich mit dem Einfluss von Algorithmen und künstlicher Intelligenz auf Journalismus und öffentliche Kommunikation. Dazu zählen etwa Fragen, ob politisch oder gesundheitlich relevante Suchergebnisse bei prominenten Suchmaschinen systematisch bevorzugt werden. Bisher scheint die Angst vor sogenannten Filterblasen wohl überhöht, sagt Haim. Ein weiteres Forschungsfeld ist die Suizidprävention durch KI. Manche Suchmaschinenbetreiber blenden bei bestimmten Suchbegriffen Angebote der Telefonseelsorge ein — das wird häufig genutzt. Haims Forschung soll dazu beitragen, dass häufiger im richtigen Moment solche Hilfsangebote angezeigt werden.

Da KI viele Potenziale für Anwendungen in sämtlichen Industrien bietet, verändert das Thema ebenso die betriebswirtschaftlichen Seiten von Lehre und Forschung. Die Forschungsgruppe „KI-basierte Informationssysteme“ untersucht zum Beispiel das Entscheidungsverhalten von Menschen bei Konversationen mit KI-Robotern. Im Cluster „Marketing and Strategy“ wird diskutiert, wie maschinell generierte Kreativität im Marketing genutzt wird und beim Kunden ankommt. Forschungsarbeiten im Cluster „Technology and Innovation“ befassen sich mit der Frage, ob KI bessere Empfehlungen geben kann als der Mensch. Bisher noch nicht, verrät BWL-Professor Tobias Kretschmer. „Algorithmisch erzeugte Empfehlungen werden aber immer besser.“

Am Genzentrum der Fakultät für Chemie und Pharmazie werden verschiedene Deep-Learning-Methoden verglichen — ein Teilgebiet der KI. Damit sollen 2D-Projektionen von Molekülen in der KryoElektronenmikroskopie automatisch erkannt werden, was die Strukturbestimmung einfacher macht. Am LMU-Institut für Statistik wurde bereits vor vier Jahren der erste deutsche Elitestudiengang Data Science angeboten. Big Data gilt als Vorstufe für den eigentlichen Problemlöser, die KI. „Der Rohstoff Daten muss aber für sie erst sinnvoll veredelt werden“, erklärt Studiengangsprecher Professor Göran Kauermann. KI verändert auch die Lehrinhalte von angehenden Juristen. Das Schlagwort heißt hier „Legal Tech“. Dürfen Juristen Datenbanken nutzen, die ohne jede Wertung mathematisch betrieben werden?

Keilschriften durch KI entschlüsseln

Auch an anderen Fakultäten wird zunehmend im KI-Bereich geforscht. Der Altorientalist Professor Enrique Jiménez von der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften erforscht in Kooperation mit der Universität Bagdad babylonische Literatur mithilfe von KI. Das Problem: Bisher lagern unzählige Tonfragmente mit Keilschriften in verschiedenen Sammlungen und Museen weltweit. Einzeln ergeben die teils sehr kleinen Überbleibsel jedoch wenig Sinn. Jiménez’ Forschungsgruppe will daher die steinernen Manuskripte digitalisieren und dann Algorithmen entwickeln, die miteinander in Verbindung stehende Textfragmente automatisch zusammenführen.

Nicht alles, was unter der Rubrik KI läuft, fällt auch wirklich darunter. Intelligenz kommt dann ins Spiel, wenn Systeme ohne das Eingreifen des Menschen schlauer werden und selbstständige Entscheidungen treffen. „Ich wusste lange nicht, dass ich mich mit KI beschäftige“, sagt Professor Thomas Seidl vom Institut für Informatik an der LMU und lacht. Inzwischen spielen die Techniken der Datenanalyse eine wichtige Rolle in der KI. Sein Fachgebiet ist maschinelles Lernen, die Grundlage von KI. Er und sein Team suchen in der Fülle von Daten nach Regelmäßigem und Unregelmäßigkeiten. In der Praxis kommt das zum Beispiel bei Finanztransaktionen zum Einsatz. Mit einer deutschen Kreditkarte wird plötzlich ein großer Geldbetrag in Südamerika bezahlt? Das könnte ein Betrugsversuch sein.

Seidl beschäftigen aber auch die sozialen Konsequenzen von KI. Die Bundesregierung schätzt, dass durch Automatisierung bis 2025 rund 1,6 Millionen herkömmliche Arbeitsplätze verloren gehen. „Das führt zu sozialen Umbrüchen“, ist der LMU-Professor überzeugt. Gleichzeitig sei KI auch eine Chance, weil neue Arbeitsplätze entstünden. Das Bundesarbeitsministerium schätzt die Zahl auf 2,3 Millionen, also unter dem Strich ein dickes Plus. „Es braucht immer einen Menschen hinter der Maschine, einen Vermittler, der die Sachverhalte dahinter erklärt, der das Fachwissen greifbar macht“, veranschaulicht Seidl.

Mit der philosophischen Dimension von KI beschäftigt sich Professor Julian Nida-Rümelin vom Philosophischen Seminar der LMU. „Die Entwicklung von und die Interaktion mit Software-gesteuerten Systemen von der Mustererkennung bis zur Robotik beeinflusst nicht nur die menschlichen Lebensformen, sondern hat auch Rückwirkungen auf unser Selbstbild als Menschen“, erklärt er. Ethische Fragen müssten daher sowohl hinsichtlich der Entwicklung von Softwaresystemen, als auch über die Verfügbarkeit privater Nutzerdaten gestellt werden. Weitere Beispiele seien die Entwicklung zum autonomen Fahren, die Veränderung politischer Öffentlichkeit durch Social Media und die Rolle von Chatbots in der Firmenkommunikation sowie der politischen Meinungsbildung.

Sogar die Evangelisch-Theologische Fakultät beschäftigt sich mit KI. Der Lehrstuhl für Ethik ist an einem von LMU-Professor Moritz Grosse-Wentrup, Department für Statistik, initiierten Projekt mit dem Titel „Shaping AI“ beteiligt. In dem theologisch-ethischen Teilprojekt soll es darum gehen, die Dimensionen gesellschaftlicher Verantwortung im KI-Bereich näher auszuleuchten. „Was aus der Perspektive des Einzelnen wünschenswert erscheint, kann in der Summe zu Folgen führen, die sich für die Gesellschaft als sehr problematisch erweisen“, konkretisiert Professor Reiner Anselm. „Darum sollen Wege gesucht werden, diese Fragen einer breiteren gesellschaftlichen Debatte und eben auch einer ethisch-normativen Bewertung zuzuführen.“ Noch macht KI vielen Menschen Angst. Gut, wenn an der Schwelle zum nächsten Technologieschub auch über solche Themen gesprochen wird.

Aus dem MünchnerUni Magazin, Ausgabe 01/2019

Quelle: LMU