Zöliakie bei Kindern – zuverlässige Diagnose auch ohne belastende Magenspiegelung
03. Juli 2017
Über Jahrzehnte war eine Magenspiegelung bei Kindern und Jugendlichen unumgänglich, um die Diagnose einer Gluten-Unverträglichkeit (Zöliakie) zu bestätigen. Eine große internationale Studie – koordiniert vom Dr. von Haunerschen Kinderspital des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München – konnte nun zeigen, dass in über 50 Prozent der Fälle die Diagnose zuverlässig ohne diesen Eingriff gestellt werden kann. Die Studienergebnisse wurden am 14. Juni 2017 in der renommierten Fachzeitschrift Gastroenterology online publiziert.

Das Getreideeiweiß Gluten etwa aus Weizen, Roggen und Gerste löst bei einer Zöliakie eine abnorme Reaktion des Immunsystems aus; die Dünndarmschleimhaut wird geschädigt. Etwa ein Prozent der Kinder und Jugendlichen in Europa sind von dieser Autoimmunkrankheit betroffen, die häufig im Kleinkindalter beginnt. Einzige Therapie ist der lebenslange Verzicht auf alle glutenhaltigen Speisen. Zur Diagnosestellung veranlasst der Arzt eine Blutuntersuchung auf Auto-Antikörper gegen Gewebs-Transglutaminase (tTGA-IgA). Das sind Eiweißstoffe, die Immunzellen gegen körpereigenes Gewebe im Darm bilden. Sind sie erhöht, ist eine Zöliakie sehr wahrscheinlich. Um den Verdacht zu bestätigen, wird eine Magenspiegelung mit Entnahme kleiner Gewebeproben (Biopsien) aus dem oberen Dünndarm zum Nachweis der Darmschädigung vorgenommen. Bei Kindern wird die Untersuchung in Narkose durchgeführt.
Neue Kriterien – sind sie wirklich sicher?
In den vergangenen Jahren gab es bereits Hinweise, dass bei Kindern mit sehr hohen tTGA-IgA-Werten im Blut (über dem Zehnfachen des Normwertes) Darmbiopsien verzichtbar sind, wenn bestimmte zusätzliche Kriterien erfüllt waren. Dazu gehörten das Vorliegen von für Zöliakie verdächtigen Beschwerden, der Nachweis weiterer Auto-Antikörper (EMA-IgA) sowie genetischer Risikomarker (HLA-DQ2/DQ8). Die Europäische Gesellschaft für Kindergastroenterologie (ESPGHAN) schlug 2012 diese Kriterien für eine Zöliakie-Diagnose ohne Biopsien vor. Aber es herrschte große Unsicherheit – würde der Verzicht auf die Magenspiegelung zu falschen Diagnosen und unnützen Therapien führen?
Um die neuen Kriterien auch in der klinischen Praxis auf den Prüfstand zu stellen, initiierten Prof. Dr. Sibylle Koletzko, Leiterin der Kindergastroenterologie im Dr. von Haunerschen Kinderspital, und ihre Mitarbeiterin Dr. Katharina Werkstetter im November 2011 die große multizentrische Studie ProCeDE. Insgesamt 33 Kliniken aus 21 Ländern sammelten prospektiv Daten, Labor- und Gewebeproben von mehr als 700 Kindern und Jugendlichen mit positiven Zöliakie-Autoantikörpern.
Zuverlässige Ergebnisse
Die
Einfachere Diagnose und Kostenersparnis für das Gesundheitssystem
"Die Ergebnisse schaffen endlich Klarheit und bestätigen das von der europäischen Fachgesellschaft vorgeschlagene Vorgehen", sagt Prof. Koletzko, Leiterin der Kindergastroenterologie im Dr. von Haunerschen Kinderspital am LMU-Klinikum. "Das erspart vielen Kindern die belastende Magenspiegelung mit Narkose. Außerdem führt das zu erheblichen Kosteneinsparungen im Gesundheitssystem, da neben der Magenspiegelung auch die teure genetische Analyse nicht notwendig ist". Aufgrund der Komplexität und der möglichen Fallstricke bei der Auswertung der Testergebnisse ist spezielles Fachwissen gefragt. Deshalb rät Prof. Sibylle Koletzko betroffenen Familien für die Diagnosestellung (mit und ohne Magenspiegelung) einen Kinder-Gastroenterologen oder einen Kinderarzt mit zusätzlichem Fachwissen für Glutenunverträglichkeit aufzusuchen. Ob auch bei Kindern ohne offensichtliche Symptome oder bei Erwachsenen eine Zöliakie ohne Biopsie sicher diagnostiziert werden kann und mit welchen Kriterien, muss in weiteren Studien abgeklärt werden.
Titel der Originalarbeit
Werkstetter KJ, et al., Koletzko S, on behalf of the ProCeDE study group
Accuracy in Diagnosis of Celiac Disease Without Biopsies in Clinical Practice
Gastroenterology (2017), doi: 10.1053/j.gastro.2017.06.002
Quelle: Pressemitteilung KUM (Text und Bildnachweis)