Medizinische Fakultät
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Nicht nur irgendein Organ

11. Mai 2017

Im Mittelpunkt das Herz: Das Center for Advanced Studies startet eine neue Reihe. Initiiert hat sie der Atheroskleroseforscher Christian Weber.

Die neue Vortragsreihe am CAS soll das Herz als Thema aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln angehen. Was reizt Sie als klinisch-experimentell arbeitenden Mediziner daran?

Weber: Mich hat selbst im rein Experimentellen wie auch in der klinischen Translation schon immer das Interdisziplinäre gereizt. Und in der Medizin sind interdisziplinäre Ansätze besonders weitreichend, sie ist so gesehen diejenige der Naturwissenschaften, die das humanistische Ideal am weitesten treibt. Es geht nicht nur um den Menschen als Körper, sondern auch um sein Befinden, seine Gedanken. Das ist auch der Ausgangspunkt, an dem sich unser Topos in anderen Disziplinen auch der Geisteswissenschaften und in den Künsten wiederfindet. Das versuchen wir in der Vortragsreihe am CAS zu spiegeln, für die wir hochkarätige Sprecher gewinnen konnten.

Ganz prosaisch ist es „die Pumpe“, aber das Herz gilt auch als Motor des Lebens und vor allem als Hort der Emotionen. Woher kommt diese Aufladung mit Bedeutung?

In der antiken Vorstellung, die sich in der griechischen Philosophie artikuliert und zurück bis zu Aristoteles reicht, ist das Herz in der Tat der Sitz der Seele – und sogar der Wahrnehmung. Ganz richtig lag Aristoteles mit dieser Idee des Kardiozentrismus ja nicht, er verkannte vor allem die Bedeutung des Gehirns. Das war für ihn nur eine Art Kühlelement für die weitaus wichtigeren Vorgänge, die sich im Herzen abspielten. Dass sich diese Idee in ihrer Symbolik lange halten konnte und einen reichen Niederschlag in der Kulturgeschichte hat – vielleicht hängt das mit der physiologischen Dynamik zusammen, die jeder empfinden kann: Das Herz pumpt unablässig. Wenn man aufgeregt ist oder einem irgendetwas nahegeht, dann steigt die Frequenz, unter Umständen rast das Herz. Das hat wohl dazu beigetragen, dass auch die Liebe in der Literatur, in der Kunst synonym mit dem Herzen verortet wurde. Viele Redewendungen wie „die Hand aufs Herz legen“, „das Herz verschließen“ oder „das Herz öffnen“ sind mit der Überfrachtung an Bedeutung zu erklären.

Wenn man diesen Niederschlag am Beispiel der bildenden Kunst zu beschreiben versuchte: Wie hat die Kunst das Organ über die Jahrhunderte hin behandelt?

Natürlich wurde es zunächst von Haut bedeckt, im Körper geschützt dargestellt. In der Malerei und Buchmalerei des Mittelalters entwickelte sich zudem eine piktogrammhafte Darstellung des Herzens. Erst Leonardo da Vinci sorgte in seiner allumfassenden Bedeutung für die Verbindung von Wissenschaft und Kunst im wahrsten Sinne des Wortes für eine Öffnung. Er stellte in seinen berühmten Zeichnungen auch die anatomische und physiologische Funktion des Herzens bildlich dar.

Handelt es sich dabei eher um Vorstudien eines großen Künstlers oder Zeugnisse eines naturwissenschaftlichen Aufbruchs in der Renaissance?

Sicher stand der naturwissenschaftliche Duktus im Vordergrund – mit immensen Rückwirkungen auf die Kunst. Der Übergang jedenfalls war fließend. Nehmen Sie die Bilder und Statuen aus der Hochrenaissance: Ohne akribische anatomische Studien wie bei einer Sektion sind Kunstwerke wie Michelangelos David in ihrer plastischen und realitätsnahen Präzision nicht zu denken.

Und danach?

Auch in den nachfolgenden Jahrhunderten bis in die aktuelle Kunstproduktion hinein tauchen Herzen in vielfältiger Form etwa als Bildchiffren auf. Denken Sie an Banksy und seine Streetart, das kleine Mädchen, das ein rotes Herz an den Mauern steigen lässt. Oder hier in meinem Büro: Das ist ein kleines Bild von Karl Otto Götz, Lehrer von Joseph Beuys und Begründer des Informel. Das Informel ist eine aktionistische Kunstform, in der die Maler abstrakte nichtgeometrische Formen spontan und aus der Bewegung heraus auf die Leinwand bringen. K. O. Götz hat beispielsweise auch Fotoaufnahmen mit langer Belichtungszeit gemacht, auf denen er Bewegungen mit der Taschenlampe vollführt. Und in diesen Bewegungen sind auch Herzformen entstanden – ob er das in dem Moment allerdings wollte, sei dahingestellt. Das sind nur zwei recht willkürlich gewählte Beispiele.

Die Vorlesungsreihe beginnt am 16. Mai mit einem Vortrag zu eben jenem Kardiozentrismus.

Ja, Peter Adamson, Philosoph an der LMU, zeichnet diese Idee in der griechischen und islamischen Philosophie sowie ihre Auswirkungen nach. Die Kulturhistorikerin Fay Bound Alberti von der Queen Mary University in London, die den zweiten Abend bestreitet, ist Expertin für die Geschichte der Emotionen und ist Autorin unter anderem des Buches Matters of the Heart – History, Medicine, and Emotions. Barbara Vinken, Literaturwissenschaftlerin an der LMU, geht der „Herzenssache“ in der Literatur nach. Doch kann man sozusagen ein gebrochenes Herz heilen? Der Mediziner Thomas Eschenhagen vom Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg berichtet von Ansätzen, mithilfe des Tissue Engineering Gewebe aus Stammzellen zu züchten. Das lässt sich nach einem Herzinfarkt oder bei schwerer Herzinsuffizienz wie ein Pflaster auf das Myokard aufbringen und kann so die Pumpfunktion des Herzens zu stärken. Zu Beginn des kommenden Wintersemesters schließlich berichtet Jeroen Bax von der Universität Leiden über die neuesten Trends in der klinischen Bildgebung des Herzens. Das schließt, wenn Sie so wollen, wieder den Bogen zur bildenden Kunst.

Die Vortragreihe ist als Auftakt zu einem Forschungsschwerpunkt am CAS gedacht. Wie kann man dabei über einen eher assoziativen oder kompilatorischen Ansatz hinauskommen? Welcher Gewinn könnte sich aus der Interdisziplinarität ergeben?

weber_cas Prof. Dr. med. Christian Weber ist Direktor des Instituts für Prophylaxe und Epidemiologie der Kreislaufkrankheiten und Inhaber des Lehrstuhls für Präventive Vaskuläre Medizin am Klinikum der Universität München

Nur ein Beispiel für einen solchen Erkenntnisgewinn: Erst kürzlich hat man in der pathologischen Forschung festgestellt, dass Herz und Hirn viel enger verknüpft sind als bislang gedacht. Die Verbindung ist zum Teil bis in die Gefäße sehr direkt. Es gibt zum Beispiel eine direkte Innervation aus dem Hirn von Gefäßen über die sogenannte Adventitia, die Bindegewebshülle, die etwa die Hauptschlagader oder Koronararterien einbettet. Wenn ein atherosklerotischer Plaque aufbricht und ein Herzinfarkt die Folge ist, kann man sich leicht vorstellen, dass die stressbedingten Signale viel direkter in die Gefäße hineingelangen als nur über hormonelle Botenstoffe oder über die Zirkulation. In solch einem ganzheitlichen Ansatz ergeben sich so völlig neue interdisziplinäre Verbindungen und neue Forschungspfade.

Quelle: Pressemitteilung LMU (Text und Bildnachweis)