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Legasthenie

schulte-körne Professor Dr. Gerd Schulte-Körne
"Wir können Kompensations-Mechanismen aktivieren"

Es ist die erste Studie dieser Art in der Erforschung der Lese-Rechtschreib- Schwäche – und die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität München hat sie geleitet. Das in 2009 veröffentlichte Ergebnis bezeichnet Prof. Gerd Schulte-Körne als „Durchbruch in der Legasthenie-Forschung.“ Denn erstmals haben die Wissenschaftler einen so genannten Marker in einem menschlichen Gen identifiziert, das die gestörten Hirnfunktionen bei der Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) mit verursacht. „Das Resultat ist so spannend, weil der Marker wirklich mit der beeinträchtigten Zuordnung von Buchstaben und Lauten im Gehirn zusammenhängt“, sagt Prof. Schulte-Körne. An der Studie beteiligt waren auch das Münchner Max- Planck-Institut für Psychiatrie, das Institut für Humangenetik und das „Life and Brain Zentrum“ der Universität Bonn und die Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitäten Marburg und Würzburg.

An Legasthenie leiden in Europa rund 22 Millionen Menschen. Nicht richtig lesen und schreiben zu können belastet Kinder wie Eltern und führt häufig zu Schulabbruch und psychischen Problemen. Die Beeinträchtigungen von Legasthenikern sind auch im EEG oder anderen bildgebenden Verfahren sichtbar. Und so wurden 200 legasthenische Kinder und Jugendliche – meist im Alter von neun bis 14 Jahren – zunächst intensiv neuropsychologisch und neurophysiologisch untersucht. Hernach wurden die Genome sämtlicher Probanden mit inzwischen weitgehend standardisierten Verfahren der molekularen Biologie analysiert. Das Ziel: einzelne Gene oder individuelle Genabschnitte, so genannte Polymorphismen, einzukreisen, die mit den neuropsychologischen/neurophysiologischen Befunden und der LRS assoziiert sind – eine Sisyphus-Arbeit für Statistiker und Bioinformatiker.

"Damit können wir den Kindern einen langen Leidensweg ersparen"

Tatsächlich aber wurden die Münchner Wissenschaftler und ihre Kollegen fündig: Sie entdeckten einen Polymorphismus in einem Gen, das ein anderes Gen reguliert, das letztlich die Aufnahme von Zucker in die Nervenzellen steuert. Solche Prozesse sind auch und gerade in den Sprachverarbeitungs-Regionen des Gehirns wichtig für die Funktion der Nervenzellen. Um den Wert der Ergebnisse zu überprüfen, wurde das Studienprocedere mit weiteren 200 Kindern und Jugendlichen überprüft – mit weitgehend gleichen Resultaten.

Prof. Schulte-Körne sieht langfristig enorme Perspektiven für die Prävention bei der Lese-Rechtschreibschwäche – vor allem eingedenk der Hoffnung, dass in einigen Jahren noch weitere genetische Marker für die frühe Diagnose der Kinder zur Verfügung stehen könnten. Kinder aus Familien mit einem oder mehreren Legasthenikern könnten frühzeitig und einfach auf genetische Marker untersucht und einem noch zu entwickelnden Sprachtraining zugeführt werden, das bereits im ersten Lebensjahr beginnt. „So könnten wir von klein auf Kompensations-Mechanismen aktivieren“, sagt der Kinder- und Jugendpsychiater, „und den Kindern einen langen Leidensweg ersparen.“ Denn noch immer, beklagt Prof. Schulte-Körne, „ist die Integration von Legasthenikern in der Gesellschaft schlecht.“

Quelle: Jahresbericht 2009 (Text und Bildnachweis)