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10 Jahre Klinisches Ethikkomitee am LMU Klinikum

12.11.2025

Seit zehn Jahren unterstützt das Klinische Ethikkomitee das LMU Klinikum bei ethischen Fragen. Seine Jubiläumsveranstaltung widmete sich dem Wunsch nach Suizidassistenz. Eine Expertenrunde diskutierte die komplexen Fragen des assistierten Suizids.

v.l.n.r.: Prof. Pollmächer, Prof. Lerch, Prof. Gleich, W. Putz und Prof. Marckmann diskutierten über Suizidassistenz.

In seinem Eingangsstatement zitierte Prof. Markus Lerch, Ärztlicher Direktor des LMU Klinikums, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020, in dem das ‚Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben ausdrücklich auch die Freiheit sich das Leben zu nehmen und die Hilfe Dritter dabei in Anspruch zu nehmen‘ einschließt. Damit wurden die persönliche Autonomie und die Freiverantwortlichkeit des einzelnen zu einem hohen Rechtsgut erklärt. Das höchste Gericht Kanadas hatte 2015 die Patientenautonomie über andere Rechtsgüter gestellt und der assistiere Suizid, in Kanada ‚Medical Assistance in Dying‘ (MAID), wurde ursprünglich für Ausnahmefälle am Lebensende bei zum Tode führenden Erkrankungen erlaubt. In 2023 war MAID aber mit 15,343 assistierten Suiziden die fünfthäufigste Todesursache (4,7% aller Todesfälle) in Kanada und 1,837 Experten (Ärzte und Pflegende) hatten sich auf die Ausübung von MAID spezialisiert. Im Gegensatz zu Deutschland mit geschätzt rund 1000 Fällen im Jahr, handelt es sich in Kanada fast immer um eine Tötung auf Verlangen. Die Anwendung umfasst inzwischen Menschen ab einem Alter von 18 Jahren, Demenzkranke und Personen ohne tödliche Erkrankung. In Deutschland gibt es seit dem Verfassungsgerichtsurteil weder eine gesetzliche Regelung, noch ein Register für die Erfassung der Fälle, noch verbindliche Leitlinien für die Ausübung des assistierten Suizids aus der Ärzteschaft.

Renommierte Experten

Wolfgang Putz, Rechtsanwalt und Experte für Medizinrecht Patientenrechte am Ende des Lebens aus München, der mit seiner Verfassungsbeschwerde wesentlich zum Urteil des Verfassungsgerichtes beigetragen hat, appellierte an die Ärzteschaft, Standards zur Feststellung der Freiverantwortlichkeit eines Suizidwunsches zu etablieren, um für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. Dies könne weder vom Gesetzgeber noch von den Gerichten kompetent geleistet werden. Prof. Thomas Pollmächer (Klinikum Ingolstadt) thematisierte aus psychiatrischer Sicht die Herausforderungen solcher Begutachtungen. So könne die freie Willensbildung weder durch die Nachvollziehbarkeit eines Suizidwunsches belegt werden, noch könne sie aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung ausgeschlossen werden. Prof. Georg Marckmann (Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, LMU München) erweiterte die Perspektive von einem Schutzkonzept zu einem Unterstützungskonzept für Menschen mit Sterbewünschen. Es sollte nicht nur die Selbstbestimmungsfähigkeit geprüft, sondern im Sinne eines „Shared Secision Making“ gemeinsam mit den Patienten individuelle Wege erarbeitet werden.

Prof. Sabine Gleich berichtete über eine Studie des Gesundheitsreferats der Stadt München und des Instituts für Rechtsmedizin der LMU zu den in München in den Jahren 2020-2023 durchgeführten Suizidassistenzen. Die Zahlen seien jährlich angestiegen auf insgesamt 77 Fälle, begleitet von einer kleinen Zahl ärztlicher Suizidhelfern, die für Sterbehilfeorganisationen tätig waren. Auffällig waren Hinweise auf fehlende Schutzkonzepte für besonders gefährdete Gruppen (z.B. Personen mit vorangegangenen Suizidversuchen) sowie auf Komplikationen bei einem eingesetzten Arzneistoff. Prof. Michael von Bergwelt (Medizinische Klinik III, LMU Klinikum) verwies auf die Erfolge in seinem Fachgebiet, der Onkologie. Diese ermöglichten es Patienten, immer länger und besser mit einer Krebserkrankung zu leben. Vor diesem Hintergrund warnte er vor den möglichen Auswirkungen einer steigenden Präsenz von Suizidassistenz in den sozialen Medien. Diese könnte zu einer unseriösen und leichtfertigen Einrede von Suizidwünschen führen.

Mehr über die Arbeit erfahren Sie in der aktuellen Ausgabeauf Seite 16f. (PDF, 7.385 KB)
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Ungeklärte Fragen

Unter den Anwesenden herrschte Einigkeit darüber, dass es keine sachliche Notwendigkeit gibt, assistierte Suizide in einem Krankenhaus durchzuführen. In Ländern, in denen Suizidassistenz erlaubt und reguliert ist, wie in den Niederlanden, wurde dieser Wunsch in den meisten Fällen in der häuslichen Umgebung des Hilfesuchenden erfüllt. Aus Kanada könne man lernen, dass eine Entwicklung, die die Autonomie des einzelnen als höchstes Gut vertritt, zu Konflikten mit gesellschaftlichen und christlichen Werten führen kann, für die eine Suizidprävention ganz im Vordergrund steht. Auch die Rolle von Sterbehilfeorganisationen, die Spezialisierung von Medizinern auf dieses Gebiet, die Angebote von Bestattern zur Suizidassistenz und die erforderlichen Befähigungen von Helfern beim Suizid wurden kontrovers diskutiert. Prof. Marckmann berichtete über die Arbeit an einer Leitlinie zum Thema unter Beteiligung zahlreicher medizinischer Fachgesellschaften. Prof. Lerch dankte als Moderator für die sachliche, respektvolle und wertschätzende Diskussion zwischen den Vertretern ganz unterschiedlicher Positionen. Einig waren sich Experten und Teilnehmer über die Notwendigkeit, die Thematik offen in der Ärzteschaft zu diskutieren, um einen verantwortlichen Umgang mit der Suizidassistenz zu entwickeln und möglichen Fehlentwicklungen vorzubeugen. „Dafür gab die Jubiläumsveranstaltung am LMU Klinikum wichtige Impulse“, so die Vorsitzende des Klinischen Ethikkomitees am LMU Klinikum, Prof. Claudia Bausewein (Klinik für Palliativmedizin).