Geschichte des Pathologischen Instituts

Von ihren Anfängen zu Beginn des 19. Jahrhundert bis heute - die Pathologie der LMU München blickt auf eine wechselvolle und für die Wissenschaftsgeschichte bedeutende Entwicklung zurück.

Bibliothek des Pathologischen Instituts

Die Anfänge der Pathologie ein München

Schon früh wurden in München in dem Krankenhaus, das vor den Toren der Stadt stand und dann den Namen "Krankenhaus links der Isar" bekam, auf Veranlassung des Internisten Karl von Loe (1786 - 1838) Obduktionen durchgeführt, weil Ärzte wissen wollten, welche Veränderungen bei ihren verstorbenen Kranken in den Organen aufgetreten waren.

Als die Universität von Ingolstadt kurzfristig nach Landshut und mit Dekret von 1826 nach München verlegt wurde, dauerte es nur wenige Jahre, bis der Anatom der Chirurgenschule Lorenz Gmeiner (1790-1839) zum Universitäts-Prosektor ernannt wurde. Er selbst hat zwar als Regimentsarzt und Landtagsabgeordneter diese Funktion nur zurückhaltend ausgeübt, die Obduktionen wurden aber von den Anatomen E. Schneider (1795-1874) und A. Förg (1809-1859) durchgeführt.

So begannen um 1830, also vor mehr als 170 Jahren, regelmäßige pathologisch-anatomische Demonstrationen. Sie entsprangen dem Bedürfnis der Ärzte - es nahmen die Ärzte der Stadt teil - und auch Studenten konnten an diesen Demonstrationen teilhaben. Diese Einrichtung wurde gewissermaßen zum ersten kleinen Anfang des späteren Unterrichtsfachs der Universität.

Bis 1845 wurden die Obduktionen von Förg durchgeführt, seit 1848 von C. Thiersch (1822 - 1895). Er folgte Lorenz Gmeiner, war 1848 bis 1854 Prosektor und wurde 1852 zum außerordentlichen Professor für Pathologie ernannt und - dies war damals noch möglich - 2 Jahre später zum ordentlichen Professor der Chirurgie in Erlangen, später in Leipzig. Mit seinem Namen sind wichtige Entwicklungen der Chirurgie, vor allem der Hauttransplantation, verknüpft.

Ab 1851, nach dem Weggang von Thiersch selbstständig, führte Ludwig Buhl (1816 - 1880) - später geadelt - diese regelmäßigen Obduktionen durch. Er hatte sich 1847 als Dozent für physikalische Diagnostik und Pathologische Anatomie und Mikroskopie habilitiert, er las also für die Studenten noch einen Perkussionskurs und führte daneben die pathologisch-anatomischen Demonstrationen durch. 1859 wurde er zum ersten ordentlichen Professor für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie der Universität München ernannt; die Zweiteilung des Fachs in eine allgemeine Krankheitsforschung, die Allgemeine Pathologie, und in eine spezielle Krankheitsforschung, die Pathologische Anatomie, hat ihren Ursprung in dieser Entwicklung nicht nur in München, sondern auch in anderen Orten.

Die Zahl der Obduktionen war, weil das Bedürfnis nach Erweiterung des Wissens um die Krankheiten so groß war, ungewöhnlich umfangreich. Buhl war immer noch in einigen Räumen in der Anatomie untergebracht, die gewissermaßen zu einem ersten kleinen Pathologie-Kabinett wurden.

20 Gulden als Jahresetat standen Buhl zur Verfügung, und er klagte sehr, dass er Messer und Instrumente nicht nur aus eigener Tasche bezahlen, sondern auch seine Messer für die Sektionen selbst schleifen müsse. Erst nach Jahren gelang es ihm, den Bau eines eigenen Institutes zu erreichen, mit einem nunmehr verbesserten Jahresetat und drei Assistenten.

Längst hatte sich dabei, zuerst unmerklich, dann aber markant in den Vordergrund tretend, ein Aufgabenwandel, eine Aufgabenerweiterung im Fach vollzogen. Am Anfang stand, wie bei allen auf die Naturwissenschaft gegründeten Fächern, die Sammlung von Beobachtungen im Fachgebiet Pathologie so eindrucksvoll im Vordergrund, daß die Sammlung in älteren Instituten oft den Mittelpunkt darstellte.

Im Münchner Institut reicht das älteste Dokument einer solchen Sammlung in das Jahr 1829 zurück. Dies ist deshalb erwähnenswert, weil sich damit auch ein Stück Münchner Lokalgeschichte verknüpft, die auch heute noch lebendig ist, wie aus Bucherscheinungen und Zeitungsartikeln der letzten Jahre zu ersehen ist.

1763 bis 1828 lebte in München Joseph Huber, das wohl bekannteste Münchner Original, der schon zu Lebzeiten populärste Mann in München, allgemein bekannt unter dem Namen "Finessensepperl". Ungewöhnlich klein von Wuchs, aber wohl proportioniert - heute würden wir von einem proportionierten Zwergwuchs sprechen - war er die groteske Verzerrung einer Reihe von Gegensätzen. "Schlau war er und schien gerade das Gegenteil davon zu sein; er konnte nicht lesen und schreiben und verstand sich doch darin." (Hufnagel). Für die Münchner Bürger wurde er zum ersten, stets verschwiegenen Postillon d' Amour, der in allen Häusern immer Zutritt hatte; seine beständige Liebe war die "rote Nanni", ebenfalls ein Zwerg. Sein Gesichtsausdruck war entgegen seiner Schläue meist einfältig, eher griesgrämig, ganz im Gegenteil zu seinen oft treffenden, witzigen oder skurrilen Aussprüchen, die so zahlreich und allgemein bekannt waren, dass schon zu seinen Lebzeiten ein Buch mit der Sammlung seiner Taten und Aussprüche erschien. Der bekannteste, zur Münchner Redensart gewordene ist: "Nix Gwiß woas ma net". Die Erinnerung an den Finessensepperl ist so lebendig, dass ihm am Münchner Rathaus eine figürliche Darstellung eingeräumt wurde und dass die heutigen Biographen dem weiteren Verbleib besondere Aufmerksamkeit widmeten. Die amtliche Eintragung der Stadt München von 1829 weist aus, dass der Finessensepperl am 26. April verstarb, seine sterblichen Überreste drei Tage später im Alten Südlichen Friedhof bestattet wurden und den lapidaren Vermerk: "Das Skelett ist in der Anatomie ausgestellt".

Alle späteren Nachforschungen nach dem Skelett in der Anatomie verliefen aber negativ, so dass die heutigen Biographen feststellen, dass zu den vielen Legenden und Geschichten des Finessensepperls dies die letzte sei. Die Geschichte des Fachs erklärt, wieso seinerzeit das Skelett in der Anatomie ausgestellt war, in der heutigen Anatomie aber nicht mehr zu finden ist: Es war Bestandteil der Sammlung des Pathologie-Kabinetts in der Anatomie und später des Pathologischen Institutes; es ist - nach über 170 Jahren - auch heute noch wohl erhalten. Es gehört vielleicht mit zur Geschichte des Finessensepperls, daß direkt gegenüber dem Grab im Alten Südlichen Friedhof das jetzige Pathologische Institut an der Thalkirchner Straße errichtet wurde, in dem das Skelett aufbewahrt wird, das also nicht verschwunden ist, sondern sich nur 150 Jahre lang versteckt hatte.

Das erste Pathologische Institut der Ludwig-Maximilians-Universität

Historische Ansicht - Innenhof, Pathologisches Institut der LMU

Historische Ansicht auf den Innenhof | © LMU

Nach jahrelangen Bemühungen konnte Ludwig von Buhl 1875 das erste Pathologische Institut der Universität München übernehmen. Das Instituts-Gebäude steht noch heute an der Ecke Schiller/Nußbaumstraße. Es ist heute Teil der Pharmakologie. Was sich inzwischen an Wandel im Aufgabenbereich des Fachs Pathologie vollzogen hatte, kommt in den Formulierungen Ludwig von Buhls in der Eröffnungsrede 1875 deutlich zum Ausdruck; er definierte das Pathologische Institut als eine Anstalt, welche unter gemeinschaftlichem Dach die "Arbeitsteilung an pathologisch-anatomischen und histologischen, an chemischen, physikalischen und experimentellen Aufgaben zum Zwecke der Aufklärung krankhafter Erscheinungen und der Ermittlung ihrer Entstehungsbedingungen zulässt". Diese Zielsetzung besagt bereits, daß zum Zwecke der Krankheitsforschung pathologische Anatomie und Histologie einerseits und experimentelle, chemische, physikalische und physiologische Methoden andererseits eingesetzt wurden. Hier deutet sich schon eine zweifache Aufgabenstellung an, die sich in der späteren Entwicklung des Fachs fortgesetzt hat und die sich in den beiden Grundbegriffen des gesamten Fachgebiets, Allgemeine Pathologie einschließlich experimenteller Grundlagenforschung einerseits und Spezielle, klinisch orientierte Pathologische Anatomie andererseits, widerspiegelt. Einen prägenden Einfluss auf die Arbeiten Ludwig von Buhls hatten die aufkommenden Kenntnisse der Bakteriologie als ein eben erkanntes, wichtiges Ursachenprinzip vieler Erkrankungen. Buhl selbst beherrschte die damalige Technik der Bakteriologie; mit der Errichtung des Instituts hatte er einen Mitarbeiter von Robert Koch in das Institut geholt, der die ersten bakteriologischen Kurse in München hielt. Kliniker wie von Ziemssen und viele Ärzte der Stadt waren Teilnehmer dieser Kurse zur Erlernung der neuen Technik.

Dass Ludwig von Buhl aufs engste mit dem nun auch an der Universität wirkenden Max von Pettenkofer zusammenarbeitete, ist aus der Literatur gut belegt; sie gaben u.a. auch eine gemeinsame Zeitschrift heraus.

Wie dringend diese Fragen waren, ergibt sich aus einer Veröffentlichung der Obduktionsergebnisse des Pathologischen Institutes im Jahre 1875: 29 % aller Verstorbenen hatten eine ausgeprägte Tuberkulose. In Buhls eigenen Arbeiten stand das Tuberkulose-Problem ganz im Vordergrund. Er stellte sich gegen Rudolf Virchow an die Seite von Robert Koch mit der Erkenntnis, dass die phtisische und die knötchenbildende Verlaufsform ein- und dieselbe Ursache haben, nämlich die Tuberkelbakterien als Erreger der Krankheit Tuberkulose.

In ganz ähnlicher Arbeitsrichtung war im ersten Institut auch Otto von Bollinger tätig, der später an der königlichen Tierarzneischule ordentlicher Professor für Pathologie und zugleich an der Universität außerordentlicher Professor für Vergleichende Pathologische Anatomie wurde.

1880 nach dem Tode von Buhls übernahm Otto von Bollinger (1843 - 1909) bis zu seinem Tod 1909 die Leitung des Pathologischen Instituts. Von den vielen Arbeiten aus seiner Feder sei nur erwähnt, dass er sich zuerst mit vielen Problemen der Ursachenforschung durch Krankheitserreger beschäftigte; so ist der Name des sog. Aktinomyces-Pilzes auf ihn zurückzuführen. Dann aber weitete sich sein Forschungsfeld aus. Besonders bekannt geworden sind seine Arbeiten über das sogenannte Münchner Bierherz; darin eingeschlossen sind Probleme, die wir heute als alkohol-toxische Kardiomyopathie bezeichnen würden.

Nach seinem Tod übernahm der am Institut tätige Robert Rössle, einer der großen des Fachs, interimistisch die Leitung.

1911 trat dann als Nachfolger Bollingers Max Borst (1869- 1946), der vorher bereits in Köln, Göttingen und Würzburg den Lehrstuhl für Pathologie innehatte, das Amt des Institutsdirektors an. Mit ihm wurde die neue Tradition des Münchner Instituts, die Wachstums- und Geschwulstforschung, begründet, die sich über die Jahrzehnte und über die Nachfolger hinweg bis in unsere Tage als wissenschaftlicher Schwerpunkt des Instituts fortsetzte. Mit seiner Lehre von den Geschwülsten begründete er die sogenannte histogenetische Geschwulstableitung, jene Geschwulstklassifikation, die auf der Ableitung vom bzw. dem Vergleich mit dem jeweiligen Muttergewebe beruht und die auch heute Basis aller Geschwulstklassifikationen der WHO ist. Für die sich rasch ausweitenden Forschungsaufgaben und die zunehmende praktische Tätigkeit wurde das alte Institut rasch zu klein. Pläne für einen Neubau aber konnten durch den ausbrechenden I. Weltkrieg nicht realisiert werden. Ein Neuansatz der Institutsplanung wurde durch die Inflation 1923 zunichte gemacht, so dass erst Ende der zwanziger Jahre mit dem Neubau des Instituts an der Thalkirchner Straße begonnen wurde.

Das Pathologische Institut der LMU an der Thalkirchner Straße

Historische Ansicht auf die Präparatesammlung

Historische Ansicht auf die Präparatesammlung | © LMU

1928 bis 1930, in zwei Jahren, wurde dieses Institut erbaut und am 17. Mai 1930 feierlich eingeweiht. Die Leitung des Pathologischen Instituts hatte Max Borst zu dieser Zeit seit 1911 inne. Er selbst war maßgeblich an der Konzeption der einzelnen Arbeitseinrichtungen und Forschungsabteilungen des neuen Institutsgebäudes beteiligt. So wurden von ihm in konsequenter Fortentwicklung der von Buhl bereits umrissenen Aufgabengebiete neben der Prosekturabteilung großzügige experimentelle Forschungsmöglichkeiten mit einem eigenen Tierstall, eine pathologisch-histologische Abteilung, eine chemische Abteilung und eine von Max Borst als pathophysiologische Abteilung bezeichnete Forschungseinheit und Gewebezüchtung eingerichtet.

Nach neunjähriger fruchtbarer, ungestörter Arbeit brach 1939 der II. Weltkrieg aus. Als im Gefolge der Bombenangriffe das Gerichtsmedizinische Institut zerstört war, wurde dieses Fach, die heutige Rechtsmedizin, im Institut untergebracht; hieran hat sich auch bis heute nichts geändert.

Nachdem bei mehreren Bombenangriffen das Institut nur leicht beschädigt wurde, traten nach einem Angriff im Jahr 1944 schwere Schäden auf. Unter anderem wurden große Teile des Mitteltrakts zerstört. Die Wiederherstellung des Instituts erlebte Max Borst nicht mehr. Nach dem Wiederbeginn des Unterrichts nach dem Krieg ereilte Max Borst durch einen Autounfall am 19. Oktober 1946 der Tod.

Ludwig Burkhardt übernahm in einer Interimsperiode die Institutsleitung in einer Phase der Aufräumarbeiten und des mühseligen ersten Aufbaus unter tatkräftiger Hilfe von H. Bayerle, so dass trotz aller Notzeiten mit vielen Improvisationen die Tätigkeit des Instituts kontinuierlich weiterging und auch ein fruchtbarer Neubeginn der wissenschaftlichen Tätigkeit in dem schwer beschädigten Institut zu verzeichnen war.

1948 übernahm Werner Hueck (1882 - 1962), der aus dem Institut hervorgegangen war und in Rostock und Leipzig den Lehrstuhl innehatte, mit 66 Jahren die Institutsleitung. Bereits als junger Forscher unter Otto von Bollinger im Münchner Institut veröffentlichte er 1911 seine Pigmentstudien, histochemische Analysen, die so sehr Gültigkeit haben, dass sie auch heute noch in englischen Spezialwerken abgedruckt sind. Eine Weiterentwicklung auf diesem Forschungsweg war aber nicht möglich, weil die Kenntnisse der Chemie und Biochemie der damaligen Zeit zu gering waren, und so wandte er sich dem Studium der Struktur unter pathologischen Bedingungen zu und entwickelte diese zu höchster Vollendung. Seine Arbeiten über die Arteriosklerose, die Arbeiten seiner Schüler über den Rheumatismus und vor allem seine Mesenchymarbeiten sind Marksteine. Höhepunkt seines Lebenswerks war die Verfolgung des Gedankens, dass die pathologische Anatomie und Histologie nur verstanden werden kann, wenn sie nicht als Zustand, sondern als Momentaufnahme eines Strukturwandels begriffen wird. Die Morphologie als Gestaltwandel fand in seiner "Morphologischen Pathologie" den Abschluss.

In den Jahren des Wirkens W. Huecks wurde das Institut wenigstens in seinen äußeren Bauformen wiederhergestellt. Der Aufbau der Innenstrukturen aber blieb noch unvollendet.

1956 übernahm Walter Büngeler bis 1970 die Leitung des Instituts. Geboren im Rheinland begann er seine wissenschaftliche Laufbahn unter Fischer-Wasels in Frankfurt; hier legte er den Grundstock seines Lebenswerkes, das entscheidend der Geschwulstforschung gewidmet war. Zugleich mit Lignac gelang ihm die erste experimentelle chemische Erzeugung einer Leukämie; hochangesehene wissenschaftliche Ehrungen wurden ihm hierfür zuteil. Eine Fülle von Arbeiten auf dem Geschwulstgebiet, insbesondere die Abgrenzung von Überschusswachstum und Geschwulstwachstum, folgten. Früh wurde er nach Danzig berufen und war Gründungsdekan der Medizinischen Akademie Danzig; mit 35 Jahren folgte er dem Ruf auf den Lehrstuhl für Pathologie in Sao Paulo in Brasilien. Als Leiter des Leprainstituts hat er während der Zeit seines Wirkens in Brasilien grundlegende Arbeiten über diese große Volksseuche durchgeführt.

Vor dem Hintergrund dieses wissenschaftlichen Lebenswerks ist es verständlich, daß die Geschwulstpathologie - bereits Tradition im Münchner Institut - von W. Büngeler entscheidende neue Impulse erhielt. So ist unter W. Büngeler unter anderem eine elektronenmikroskopische Abteilung eingerichtet worden. Er holte Fritz Miller aus Innsbruck. Die Neuropathologie wurde von ihm als Abteilung eingerichtet, die Otto Stochdorph aufbaute. Die Abteilung ist heute zu dem selbständigen Institut für Neuropathologie geworden.