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Künstliche Intelligenz in der Medizin: Kurzlebiger Hype oder Beginn einer neuen Ära?

25. Oktober 2021

LMU-Mediziner Nikolaos Koutsouleris erläutert am 2. November, wie KI die Gesundheitsvorsorge verbessern kann und welche Herausforderungen dafür noch zu bewältigen sind.

koutsouleris Nikolaos Koutsouleris spricht bei den KI Lectures über den Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Medizin. (Bild: LMU)

Die Entwicklung maschineller Lernverfahren hat in den vergangenen Jahren zu großen Veränderungen in der medizinischen Forschung geführt. Neue KI-basierte Analyse-Tools erlauben uns immer besser, die Komplexität von genetischer Prädisposition, sozialen Umweltfaktoren und biologischen Erkrankungsprozessen zu erfassen. Gleichzeitig wirkt KI-Technologie wie ein Katalysator für die Umsetzung von Forschung in klinische Anwendung.

In seinem Vortrag im Rahmen der neuen „KI Lectures“ der LMU erklärt Professor Nikolaos Koutsouleris, wie die Medizin durch Big Data die Vorhersage und Prävention schwerer Erkrankungsverläufe sowie die individualisierte Therapieplanung ermöglichen kann. Bisher scheitert die tatsächliche Umsetzung noch in vielen Fällen an methodischen und infrastrukturellen Hürden sowie hohen regulatorischen und ethischen Anforderungen. Koutsouleris geht daher auch darauf ein, welche Antworten die KI-basierte personalisierte Medizin auf diese Herausforderungen finden muss.

Drei Fragen an Prof. Dr. Nikolaos Koutsouleris

Sie arbeiten an der Prävention psychischer Erkrankungen durch KI. Wie funktioniert das genau?

Nikolaos Koutsouleris: Junge Personen mit psychischen Beschwerden, zum Beispiel Depressionen, Konzentrationsschwierigkeiten beziehungsweise Denkstörungen oder Beeinträchtigungserleben, wenden sich an unsere Früherkennungsambulanz. Wir nehmen eine erste Risikoeinteilung vor, basierend auf international etablierten Hochrisiko-Kriterien. Wenn eine Person diese Kriterien erfüllt und ihre Zustimmung erteilt, erheben wir weitere Daten über das Erleben und Verhalten, untersuchen das Gehirn mithilfe der Magnetresonanztomografie und nehmen Blut ab, um genetische und proteomische Untersuchungen durchzuführen. Wir untersuchen die Person im Verlauf, um die weitere psychische Entwicklung zu beobachten. Anhand dieser Verlaufsuntersuchungen können wir feststellen, ob manche Personen schwere psychische Erkrankungen entwickeln oder ob sich die Risikosymptomatik über die Zeit wieder zurückbildet.

Anhand der gesammelten Daten lernt nun eine KI prognostische Muster, die eine Einzelfallvorhersage des Verlaufs mit einer gewissen Sensitivität und Spezifität ermöglichen. Diese KI-Modelle werden kreuzvalidiert sowie anhand von vergleichbaren, aber unabhängigen Stichproben getestet. Wenn die Modelle diese Tests bestehen, können sie dann im Rahmen von klinischen Studien erprobt werden. Dies führt anschließend zur Zertifizierung und klinischen Anwendung der Modelle.

"Mittel- bis langfristig wird sich der Fokus der psychiatrischen Versorgung hin zu einem präventiven Ansatz verschieben."
(Nikolaos Koutsouleris)

Weltweit können durch neue KI-basierte Analyse-Tools Krankheitsverläufe und Behandlungsmethoden besser vorhergesagt werden. Was bedeutet das für die zukünftige Gesundheitsversorgung der Menschen?

Koutsouleris: Mittel- bis langfristig wird sich der Fokus der psychiatrischen Versorgung hin zu einem präventiven Ansatz verschieben. Denn die Implementierung von gut validierten und ethisch akzeptablen KI-Algorithmen in die klinische Praxis wird psychiatrisches beziehungsweise psychologisches Expertenwissen für Hausärzte und niedergelassene Ärzte verfügbar machen. Hierdurch könnte eine größere Anzahl von Risikopersonen kosteneffektiver, frühzeitiger und wesentlich genauer als bisher identifiziert werden. Diesen Risikopatienten könnten dann personalisierte und präventive Maßnahmen angeboten werden.
Voraussetzung und gleichzeitiger Motor dieser Entwicklung ist die verbesserte und vertiefte Digitalisierung von Gesundheitsdaten und die Vernetzung aller Akteure im Gesundheitswesen.

Die Hoffnung ist, dass dadurch die Entwicklung chronischer Erkrankungsverläufe reduziert wird; dadurch reduzieren sich auch die hohen direkten und indirekten Kosten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Hierdurch wiederum werden Ressourcen frei, die sich in eine Ausdehnung des präventiven Ansatzes auf breitere Bevölkerungsschichten investieren lassen. Voraussetzung und gleichzeitiger Motor dieser Entwicklung ist die verbesserte und vertiefte Digitalisierung von Gesundheitsdaten und die Vernetzung aller Akteure im Gesundheitswesen.

Bei der Nutzung von KI steht die Medizin vor vielen methodischen, regulatorischen und ethischen Anforderungen. Was muss passieren, damit aus dem KI-Hype Realität wird?

Koutsouleris: Erstens: Wesentlich größere Trainingsdatensätze und Datensätze beziehungsweise Plattformen zur externen Validierung KI-basierter Modelle. Zweitens: Transparente beziehungsweise vertrauenswürdige KI für eine Stärkung partizipativer, objektiver und therapeutisch relevanter Entscheidungen. Drittens: Bias-Analysen, um systematische Fehler von KI-Modellen aufzudecken. Viertens: Einen vergleichenden Ansatz, der das „prädiktive Verhalten“ von KI-Modellen in verschiedenen Gesundheitskontexten prüft und so klare Anwendungsleitlinien beziehungsweise -fenster spezifiziert. Fünftens: Klinische Demonstratoren, um KI-Modelle in realitätsnahen Kontexten zu erproben und miteinander zu vergleichen, vor allem hinsichtlich ihres Einflusses auf klinische und partizipative Entscheidungsprozesse. Sechstens: Wirksame Datenschutzkonzepte, die sicherstellen, dass Patientendaten nicht missbräuchlich von KI analysiert werden dürfen.

Vortrag

Prof. Dr. Nikolaos Koutsouleris spricht zum Thema „Künstliche Intelligenz in der Medizin:
Kurzlebiger Hype oder Beginn einer neuen Ära?“


Dienstag, 2. November 2021, von 18:15 – 19:45 Uhr
Kontakt: ringvorlesung-lmu@lmu.de
Zur Anmeldung

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Ansprechpartner

Prof. Dr. med. Nikolaos Koutsouleris
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
LMU Klinikum München
Nikolaos.Koutsouleris@med.uni-muenchen.de
089 4400 - 55885

Quelle: LMU