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Fettzellen: Besser als ihr Ruf

29. November 2021

„Ein gesunder Mensch kann auch mit ungesunden Fetten umgehen“, sagt Alexander Bartelt. Der LMU-Professor für kardiovaskulären Stoffwechsel erforscht, warum der Mensch zunimmt – und was es mit dem Abnehmen auf sich hat.

bartelt-alexander Weiß, was Fett ausmacht: Prof. Dr. Alexander Bartelt. (Bild: LMU Klinikum)

Der Biochemiker Professor Alexander Bartelt forscht am Institut für Prophylaxe und Epidemiologie der Kreislaufkrankheiten insbesondere über die Stoffwechselvorgänge im braunen Fettgewebe. Für seine Forschung wurde er bereits mit einem ERC Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) ausgezeichnet. Sein Forschungsthema macht ihn auch zum gefragten Gesprächspartner zu Fragen des Übergewichts und Abnehmens.

Was haben die Lockdowns aus uns schon vorher nicht gerade schlanken Deutschen gemacht?

Alexander Bartelt: Im ersten Halbjahr 2020 hat jeder von uns im Schnitt ein Kilo zugenommen, bei Menschen mit Adipositas waren es sogar 7,5 Kilo. Und das sind nur Durchschnittswerte! Kurzum: Die Deutschen sind zu dick. Dabei gibt es klare Unterschiede bei Bildungsstatus, Einkommen und Region. In Städten sind die Menschen zum Beispiel dünner als auf dem Land. Vor allem aber Kinder werden immer dicker und konnten im Lockdown ihren Hobbys nicht nachgehen. Je länger sie übergewichtig sind, desto höher ist das Risiko, später an Stoffwechselerkrankungen zu leiden.

„Jeder zweite Mensch ist statistisch übergewichtig – Tendenz stark steigend. Das sind erschreckende Zahlen."
Alexander Bartelt

Laut Studien gibt es jährlich 160.000 Tote in Deutschland wegen zu viel Fett, Salz und Zucker. Warum wird bei diesem Thema von der Politik nicht härter durchgegriffen?

Alexander Bartelt: Weil sich die Todesursache nicht so leicht definieren lässt. Niemand stirbt, weil er zu dick ist, das ist lediglich ein Risikofaktor für Diabetes, Herz- oder Schlaganfälle. Da in der Statistik dann nichts von Übergewicht zu lesen ist, wird das Problem von der Politik nicht richtig wahrgenommen. Als Gesundheitsforscher kann ich nur mahnen, dieses Thema ernst zu nehmen. Jeder zweite Mensch ist statistisch übergewichtig – Tendenz stark steigend. Das sind erschreckende Zahlen.

Ist Abnehmen also doch nicht so einfach, wie es sich schlanke Menschen vorstellen?

Alexander Bartelt: Unser evolutionär optimierter Energiestoffwechsel trifft auf unsere moderne Lebensweise – das ist eine gefährliche Mischung. Wir müssen beim Abnehmen also gegen die Biologie unseres Körpers kämpfen, der die Extrakalorien für schlechte Zeiten unbedingt behalten will. Weniger essen, mehr bewegen – das ist viel schwieriger als es klingt. Auch wirksame Medikamente für Menschen mit Adipositas gibt es bisher nur wenige auf dem Markt. Die ultimativen Maßnahmen sind eine Magenverkleinerung, Magenbänder oder ein Magenbypass. Allerdings haben unsere Fettzellen auch ihren Sinn und Zweck. Extrem schlank sein ist daher nicht erstrebenswert.

„Unser Körper kann viele Fette nicht selbst herstellen und benötigt sie daher aus der Nahrung."
Alexander Bartelt

Kleine Fettpölsterchen haben also ihr Gutes?

Alexander Bartelt: Ja, Fettzellen werden in unserer Gesellschaft stark unter- oder fehleingeschätzt. Unser Körper kann viele Fette nicht selbst herstellen und benötigt sie daher aus der Nahrung. Ein gesunder Mensch kann auch mit ungesunden Fetten umgehen, sie umwandeln, abbauen oder ausscheiden. Aber wir nehmen heutzutage viel zu viele Kalorien auf – nicht nur aus Fett, sondern auch aus Zucker, Glukose und vor allem Fruchtzucker. Obwohl unsere Fettzellen ähnlich flexibel wie ein Luftballon sind, bringt sie das auf Dauer zum Überlaufen.

Sie schreiben in Ihrem Buch „Der Fettversteher“, Fettzellen können wie Menschen glücklich oder aggressiv werden.

Alexander Bartelt: Eine glückliche Fettzelle ist gut gefüllt, ausreichend mit Sauerstoff versorgt und umgeben von netten Nachbarn, also anderen glücklichen Fettzellen. Essen wir zu viel, wird die Fettzelle zu voll. Dann wird sie aggressiv und wirft mit Entzündungsmolekülen um sich. Das lockt Zellen des Immunsystems an: Das Fettgewebe ist dann chronisch entzündet. Dadurch verlieren die Fettzellen ihre schützende Stoffwechselfunktion und laufen über. Dann landet das Fett über die Leber im Blut und in anderen Organen. Ab diesem Moment wird aus einem gesunden Fettspeicher ein krankhafter Begleiter.

„Die meisten Diäten helfen – aber nur kurzfristig. Es hilft nur: Die eigenen Ernährungsgewohnheiten erkennen, auswerten und langfristige Veränderungsmöglichkeiten suchen."
Alexander Bartelt

Sie haben einen Mechanismus entdeckt, der Fettzellen ständig von innen regeneriert. Dafür haben Sie im November den Forschungspreis der Deutschen Adipositas-Gesellschaft erhalten. Ist das der Schlüssel für eine lebenslange Traumfigur?

Alexander Bartelt: Höchstens ein Puzzlestück dafür. Wir haben uns mit braunen Fettzellen im Menschen beschäftigt, die selbst in der Wissenschaft noch nicht überall bekannt sind. Vereinfacht gesagt: Wenn uns kalt ist, sagt das Gehirn dem braunen Fettgewebe: „Is‘ kalt, mach warm.“ Diese sogenannte Thermogenese erfordert sehr viel Energie, weshalb dabei viel Fett, Zucker und andere energiereiche Moleküle abgebaut werden. Mäuse, die über Nacht Kälte ausgesetzt werden, nehmen rasant ab. Noch wissen wir bei Menschen relativ wenig darüber, aber diese Wissenslücke bietet Chancen für neue Entdeckungen.

Das heißt, frieren hilft beim Abnehmen?

Alexander Bartelt: Prinzipiell schon! Die meisten Menschen verlassen nur ungern ihre Temperatur-Wohlfühlzone. Es muss ja nicht gleich Eisbaden sein, obwohl das das braune Fett aktiviert. Aber schon wenn wir ohne Jacke spazieren gehen, verbrennt unser braunes Fett Kalorien. Allerdings besteht bei Erwachsenen nur 0,02 Prozent des Körpergewichts aus braunen Fettzellen. Es reicht also nicht, wenn wir eine Nacht das Fenster offenlassen. Aber ein Kilo Fettabbau pro Jahr ist durchaus drin. Auch kalt duschen oder Gewürze wie Chili oder beispielsweise Koffein in Kapselform helfen zusätzlich.

Was bringen Diäten oder Fettabsaugungen?

Alexander Bartelt: Die meisten Diäten helfen – aber nur kurzfristig. Dasselbe gilt fürs Fettabsaugen. Sobald wir wieder essen wie vorher, beginnt unweigerlich der Jo-Jo-Effekt. Keiner will gerne sein Leben lang eine Kohldiät machen. Es hilft nur: Die eigenen Ernährungsgewohnheiten erkennen, auswerten und langfristige Veränderungsmöglichkeiten suchen – egal ob Low-Carb oder proteinfrei. Es geht vor allem aber auch um die Kalorienanzahl. Wobei dann auch zu viel Obst schlecht sein kann. Immer hilfreich sind naturbelassene Lebensmittel anstatt industrieller Nahrung, also Äpfel statt Apfelsaft, Vollkornbrot mit vollen Körnern statt Feinbrot aus feingemahlenem Mehl.

Zu dumm, dass uns seit Wochen Schokoladenweihnachtsmänner in den Supermarktregalen zum Naschen verführen. Ihr Tipp?

Alexander Bartelt: Gerade saisonale Leckereien haben ihren Reiz. Sie lösen im Körper Glücksgefühle aus wie zum Beispiel so manch andere Droge, sind aber gesetzlich zugelassen. Um Fressattacken zu vermeiden, kann ich zum Beispiel Lebkuchenliebhabern nur raten, sich nicht gleich die Zwei-Kilo-Box, sondern nur eine kleine Packung zu kaufen. Um sich nicht übermäßig mit Kalorien einzudecken, würde ich mir generell den Nutri-Score, also eine Lebensmittelampel, auf allen Produkten wünschen. Das ist in Deutschland leider noch nicht verpflichtend.

„Weihnachten ist das Paradebeispiel für Social Eating. Das bedeutet, wir essen mehr, als wir eigentlich müssen, denn der soziale Anlass erfordert es."
Alexander Bartelt

Über die Weihnachtsfeiertage nehmen die Deutschen am meisten zu. Wie lässt sich trotz der vielen Abendessen die Figur halten?

Alexander Bartelt: Weihnachten ist das Paradebeispiel für Social Eating. Das bedeutet, wir essen mehr, als wir eigentlich müssen, denn der soziale Anlass erfordert es. Einen guten Rat habe ich leider auch nicht, aber man könnte den Nachtisch weglassen oder nicht so viel Alkohol trinken – das sind alles Extrakalorien. Auf Salat umsteigen würde ich jetzt aber auch nicht. (lacht) Stattdessen lieber zwischen den Jahren mal das Fahrrad statt der Bahn nehmen. Früher gab es solche Festessen nur ein- bis zweimal im Jahr, heute essen wir viel öfter mehr, als wir brauchen. Es gibt ja auch an jeder Ecke etwas zu essen.

Wie schwer fällt es Ihnen persönlich, das Gewicht zu halten?

Alexander Bartelt: Für mich ist es leider nicht unbedingt einfacher. Ich bin zwar schlank, aber in meinen Anzug von vor zehn Jahren passe ich auch nicht mehr. Aber natürlich hilft mir meine Forschung, sich bei manchen Dingen nicht verrückt zu machen. Dass der Körper mit dem Alter rundlicher wird, ist bis zu einem gewissen Grad natürlich und gut. Der Mensch ist von Natur aus fett – das müssen wir akzeptieren. Mit ausreichend Sport und Bewegung hält man aber den Stoffwechsel auf Trab und kommt auch mit einem nicht-idealen Bodymaßindex wunderbar durchs Leben.

Ansprechpartner

Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Alexander Bartelt
Institute for Cardiovascular Prevention (IPEK)
LMU Klinikum München
Alexander.Bartelt@med.uni-muenchen.de

Quelle: LMU - David Lohmann