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Ernährungspolitik: „Potenzial wird nur unzureichend genutzt“

19. Oktober 2021

Eine Untersuchung der politischen Rahmenbedingungen für die Förderung einer gesunden Ernährungsweise in Deutschland zeigt einen dringenden Reformbedarf.

peter_von_philipsborn Dr. med. Peter von Philipsborn, Wissenschaftler am Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der LMU und Leiter des Forschungsprojekts. (Bild: LMU)

15 Prozent aller Todesfälle und 17 Milliarden Euro Gesundheitskosten pro Jahr gehen in Deutschland auf unausgewogene Ernährungsmuster zurück. Zudem verursacht das globale Ernährungssystem ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen und ist hauptverantwortlich für das Artensterben, haben Experten berechnet. Die Politik kann maßgeblich dazu beitragen, dass die gesunde und nachhaltige Wahl bei der Ernährung eine einfache Wahl ist. Wo Deutschland in dieser Hinsicht steht, haben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vom Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der LMU und des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie gemeinsam mit zahlreichen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft untersucht. Dabei zeigte sich, dass Deutschland hinter seinem Potenzial zurückbleibt und Reformbedarf besteht.

Süßigkeiten oder Salat, Wasser oder Softdrinks – ob und wie wir gesunde Ernährung im Alltag umsetzen, wird von zahlreichen Umgebungsfaktoren, dem sogenannten Ernährungsumfeld, entscheidend beeinflusst. Die Politik kann eine gesunde Ernährungsweise beispielsweise durch Qualitätsstandards für die Schulverpflegung, Regeln für die Nährwertkennzeichnung oder die Lebensmittelbesteuerung fördern. Wie weit Deutschland auf diesem Weg fortgeschritten ist, untersuchten die Wissenschaftler mithilfe einer international anerkannten Methode – dem sogenannten Food Environment Policy Index (Food-EPI) –, die politische Maßnahmen und Regeln in zahlreichen Indikatoren erfasst. „Ein Vergleich der Ergebnisse mit internationalen Best Practices war ernüchternd und zeigte: Das Potenzial wird nur unzureichend genutzt. Deutschland bleibt aktuell deutlich hinter internationalen Best Practices zur Schaffung gesunder und nachhaltiger Ernährungsumfelder zurück und es besteht dringender Reformbedarf“, sagt Dr. med. Peter von Philipsborn, Wissenschaftler am Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der LMU und Leiter des Forschungsprojekts.

Verbindliche Qualitätsstandards für Verpflegung in öffentlichen Einrichtungen

In den meisten untersuchten Bereichen erreichte der Umsetzungsgrad einer gesundheitsförderlichen Ernährungspolitik nur niedrige oder sogar sehr niedrige Werte. Handlungsbedarf besteht nach Ansicht der Autoren unter anderem bei der Umsetzung einer qualitativ hochwertigen, gebührenfreien Schul- und Kitaverpflegung. „Ein gesundes und ausgewogenes Essen sollte für alle Kita- und Schulkinder in Deutschland verfügbar sein. Dazu brauchen wir eine flächendeckende und steuerfinanzierte Umsetzung verbindlicher Qualitätsstandards in diesem Bereich“, sagt Dr. Antje Hebestreit vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie. Zur Finanzierung einer qualitativ höherwertigen Kita- und Schulverpflegung schlagen die Expertinnen und Experten die Einführung einer Herstellerabgabe auf Softdrinks vor, mit nach dem Zuckergehalt gestaffelten Steuersätzen. In Großbritannien führte die Einführung einer solchen Abgabe zu einem deutlichen Rückgang von Zuckergehalt und Zuckerkonsum.

Zudem fordern die Autorinnen und Autoren des Ergebnisberichts gesetzliche Regeln für Lebensmittelwerbung, die sich an Kinder richtet. Handlungsbedarf bestehe auch beim Verpflegungsangebot in weiteren öffentlichen Einrichtungen. „Nicht nur in Kitas und Schulen, sondern auch in vielen anderen öffentlichen Einrichtungen gibt es Kantinen und andere Verpflegungseinrichtungen – so zum Beispiel in Behörden, Hochschulen, Kliniken und Seniorenheimen. Auch für diese sollten verbindliche Qualitätsstandards gelten, wie sie von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) definiert wurden“, so Philipsborn.

Die wichtigsten Ergebnisse des Food Environment Policy Index 2021 für Deutschland wurden von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in einem Policy Brief zusammengefasst. Eine ausführliche Darstellung findet sich im Ergebnisbericht sowie im englischsprachigen Publikationsmanuskript.

Titel der Originalarbeit

Peter von Philipsborn, Karin Geffert, Carmen Klinger, Antje Hebestreit, Jan Stratil, Eva Rehfuess, for the PEN Consortium
Nutrition Policies in Germany: A Systematic Assessment with the Food Environment Policy Index (Food-EPI)
medRxiv 2021; doi: https://doi.org/10.1101/2021.10.11.21264774

Ansprechpartner

Dr. Peter von Philipsborn
Chair of Public Health and Health Services Research
Pettenkofer School of Public Health, LMU Munich
pphilipsborn@ibe.med.uni-muenchen.de

Quelle: LMU